Wie man sich auch dreht und wendet, sterben muß man doch

Man erzählt, daß vor langer Zeit einmal eine furchtbare Seuche über die Menschen gekommen sei. Niemand hatte je von einer so schrecklichen Krankheit gehört. Es gab kein Haus, in dem nicht zwei bis drei Menschen starben, und in einigen waren alle Bewohner gestorben, so daß die Bauernhöfe leer standen. Damals lebte ein Mann, der zwölf Kinder hatte, sieben Söhne und fünf Töchter. Sie waren alle hübsch und kühn. Er hatte gearbeitet, die Kinder hatten gearbeitet, und Gott hatte ihnen Reichtum und ein gutes Auskommen gegeben. Bekanntlich ist es ja so, daß in einer Familie Ordnung herrscht, wenn ihr Gott Gesundheit gibt, daß sie Vieh hat und daß ihr nichts mehr zum Glück fehlt. Die Familie war also glücklich. Aber wiederum sagt man auch, daß das Glück nicht ewig währt. So kam ein Unglück nach dem anderen über das Haus. Die Krankheit raffte in einem Frühjahr alle Kinder dahin. Es blieben nur noch der Mann und seine Frau zurück, und auch die Alte war schon krumm wie ein Ast. Im Sommer wurde das Dorf überschwemmt, und dem Manne brannte durch einen Blitzschlag der ganze Bauernhof ab. Der Hagel zerschlug ihm das Korn, und die Wiesen standen unter Wasser. Es kam der Herbst, und die Seuche raffte das gesamte Vieh dahin. Der Mann blieb allein zurück, fahl und kahl, so nackt, wie ihn seine Mutter geboren hatte. Es fiel ihm schwer, betteln zu gehen. Daher ging er zum Fluß, um sich zu ertränken. Am Ufer begann er Gott Vorwürfe zu machen und den Tod herbeizurufen. Da brauste ein Sturm los, der Wald rauschte, und die Zweige krachten. Plötzlich trat der Tod heraus; er war so furchtbar, daß man es kaum beschreiben kann.
„Du hast mich gerufen?“ fragte der Tod. „Ich bin gekommen, aber du wirst nicht sterben.“
„Was willst du denn? Warum quälst du mich?“ sagte der Mann und begann den Tod zu be-schimpfen.
Der Tod hörte sich das eine Weile an und lachte so laut, daß seine Knochen klapperten. Dann sag-te er: „Es ist nicht nur so, daß du nicht so bald sterben wirst, sondern du wirst sogar noch andere heilen. Du kannst nur die nicht heilen, bei denen du mich am Kopfende des Bettes erblickst.“
Dann verschwand er. Der Mann stand da, dachte nach und verfiel in noch größeren Kummer. Er stieg auf das Steilufer hinauf und stürzte sich in den Fluß. Als er ins Wasser fiel, stand der Tod an seinen Füßen und hielt ihn am Hintern fest. Wie er sich auch drehte und wendete, er konnte nicht untergehen. Da spuckte er dem Tod in die Zähne und zog hinaus in die Welt.
Kranke Menschen gibt es überall viele. Wo man auch hinkommt, überall sind welche zu heilen. So wanderte dieser Mann durch die Welt und heilte viele Kranke. Er sah immer nach, wo der Tod bei den Kranken stand, stand er zu Füßen, gab er dem Kranken Wasser zu trinken, und er wurde gesund, stand er aber am Kopf, dann sagte er, daß Gott den Kranken zu sich nehmen wende.
So ging die Kunde von dem Mann durch die ganze Welt.
Da wurde einmal ein Zar krank. Er wollte aber nicht sterben und rief daher die Ärzte aus dem ganzen Zarenreich zusammen. Aber was sie auch immer taten, sie konnten ihn nicht gesund ma-chen. Da versprach der Zar demjenigen, der ihn heilen würde, das halbe Zarenreich. Aber es fand sich kein Arzt, der den Zaren heilen konnte. Da erfuhr der Zar von dem Mann, der alle heilte, und schickte Boten aus, ihn zu suchen. Sie suchten eine Weile, fanden den Mann und brachten ihn zum Zaren, der kaum noch atmen konnte. Der Mann sah, daß der Tod dem Zaren zu Füßen stand und befahl, Wasser aus zwölf Quellen zu holen. Man holte das Wasser, er nahm eine Schöpfkelle von jeder Sorte, schüttete etwas Lehm darauf und gab es dem Zaren zu trinken. Nur mit äußerster Anstrengung konnte der Zar das Wasser herunterschlucken, doch bald besserte sich sein Befin-den, und nach drei Tagen fühlte er sich schon ganz wohl. Er wurde wieder gesund und be-schenkte den Mann mit allem, was er sich wünschte.
Von dieser Stunde an lebte der Mann herrlich und in Freuden. Man gab ihm alles, und alle verehrten ihn. Er lebte in einem Palast und ließ alle fünfe grade sein. Nur etwas quälte ihn, nämlich, daß er eines Tages sterben müßte. Denn er wollte jetzt überhaupt nicht mehr sterben. Bekanntlich ist ein Mensch reich, wenn er gesund ist. So über-legte er, wie er den Tod betrügen könnte, und ließ sich ein Bett machen, das man drehen konnte. Nach einiger Zeit wurde er krank. Er sah, daß der Tod an seinem Kopf stand, und drehte das Bett so, daß der Tod am Fußende stand. Als der Tod das sah, ging er weiter.
So lebte der Mann noch ein Weilchen, bis der Tod wieder zu ihm kam und sich bei seinem Kopf aufstellte. Der Mann drehte das Bett, und wieder ging der Tod weiter, um einen anderen Menschen zu suchen.
Als der Mann noch ungefähr zwei Jahre gelebt hatte, wurde er wieder krank, schwer krank. Also legte er sich aufs Bett und wartete, bis der Tod kam. Als er sah, daß der Tod bei seinem Kopfende stand, da lachte er nur.
Er drehte das Bett, aber der Tod stand wiederum am Kopfende. Der Mann drehte das Bett nochmals herum, aber der Tod lief wieder auf die andere Seite. Noch lange drehte er das Bett, aber der Tod lief immer mit und sagte schließlich: „Wie du dich auch drehst und wendest, sterben mußt du doch!“ Und er setzte sich auf den Kopf des Kranken. Wie jener auch das Bett drehte, der Tod war immer am Kopfende. Nein, dachte der Mann, der Tod sagt die Wahrheit. Wie man sich auch dreht und wendet, sterben muß man doch. Den Tod kann man eben doch nicht betrügen.

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