Auf einem Friedhof wurde einmal ein Räuber ge-hängt und ein junger Bursche beauftragt, aufzupassen, daß andere Räuber den Gehenkten nicht stehlen. Der Bursche begann aber sehr zu frieren. Er sah ein Licht brennen und lief darauf zu, um sich aufzuwärmen. Als er durchs Fenster schaute, sah er eine Frau beten. Er bat sie, ihn hineinzu-lassen, damit er sich aufwärmen könne, doch sie sagte: „Das geht nicht, denn ich habe geschwo-ren, mit niemandem zu sprechen und mich mit niemandem zu treffen.“
Da sagte er: „Laßt mich ein, wenn Ihr an Gott glaubt, laßt mich ein! Ich erfriere sonst hier in der Kälte.“
Da dachte sie: „Warum sollte ich dem Menschen nicht helfen? Stirbt er vor Kälte, so ist das wieder eine Sünde.“ Schließlich sagte sie: „Ich lasse dich ein, bleib aber an der Schwelle stehen!“
Sie öffnete die Tür, er ging hinein, blieb an der Schwelle stehen und wärmte sich auf. Nach einem Weilchen fragte er die Frau: „Was bist du für eine Frau, daß du dich so quälst und allein auf dem Friedhof lebst?“
„Das ist meine Pflicht“, sagte sie und erzählte ihm dann: „Ich hatte einen Mann, der mich sehr liebte und den ich auch sehr lieb hatte. Einmal schnitt ich mich in den Finger. Als er das Blut sah, wurde er ohnmächtig, fiel um und starb. Da habe ich geschworen, bis zu meinem Tode auf dem Friedhof zu wohnen und nicht wieder zu heiraten.“
„Ach, liebes Frauchen, was erzählst du da! Das sind doch Scherze. Du bist noch so jung und hübsch. Tot ist tot. Er war doch nicht der einzige Mann, der gestorben ist und seine Frau zurückge-lassen hat. Du solltest noch einmal heiraten, so-lange du jung bist, und dich des Lebens erfreuen. Aber“, sagte er, „ich muß gehen und nachschau-en, ob man den Gehenkten nicht gestohlen hat, denn sonst wird man mich an seine Stelle hän-gen.“
Er ging und schaute nach, aber man hatte ihn schon gestohlen. Er stand ein Weilchen dort, kehrte dann um, trat in die Hütte und weinte. Da fragte ihn die Frau: „Warum weinst du?“
„Ach“, sagte er, „die Räuber haben den Gehenkten gestohlen, morgen werde ich aufge-hängt.“
Da tat ihr der junge Bursche leid, und sie sagte: „Vielleicht kann man dir helfen?“
„Wie könnte mir geholfen werden? Um mich ist es geschehen.“
Da sagte sie: „Weißt du was, wenn du mir schwörst, daß du mich heiratest, helfe ich dir. Mein Mann ist vor kurzem erst gestorben, und wenn wir ihn anstelle des anderen aufhängen, wird man nichts merken.“
„Dem Räuber fehlten aber vorn zwei Zähne“, sagte der Bursche.
„Dann schlagen wir sie meinem Manne auch aus!“
„Nun gut!“
Sie gingen los und holten den Mann aus dem Grab. Da sagte die Witwe: „Schlag ihm die Zähne aus!“
„Ich kann aber doch nicht einem unschuldigen Menschen…! Tue es lieber selbst!“
Da nahm sie einen Stein und – krach! – schlug sie ihm zwei Zähne aus.
„Tragen wir ihn jetzt zum Galgen!“
Sie trugen ihn hin und hängten ihn auf. Dann gingen sie in die Hütte zurück und kamen auf die Hochzeit zu sprechen. Da sagte er: „Oho, dich soll ich heiraten! Du hast doch geschworen, bis zu deinem Tode auf dem Friedhof zu wohnen, weil dein Mann starb, als er an deinem Finger Blut erblickte. Nun aber hast du ihm selbst zwei Zähne ausgeschlagen. Was wirst du wohl nachher mit mir machen? Du bist nicht mehr wert, als auf der Stelle zu sterben.“
Und so erschlug er sie, legte sie in das Grab ihres Mannes und verscharrte sie. Am nächsten Morgen wurde nicht bemerkt, daß ein anderer am Galgen hing, und man befahl, ihn zu begraben. Den Burschen aber rührte niemand an.
Wie eine Frau ihren Schwur hielt
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