Wenn es dir nicht gefällt, dann hör nicht zu!

Es war einmal ein Gutsherr, der sehr gern Märchen hörte. Einmal rief er einen Bauern zu sich, der ihm Märchen erzählen sollte. Der Gutsherr sagte zu ihm: „Hier ist ein Teller Gold. Wenn du mir ein Märchen erzählst, in dem nicht ein einziges Wort wahr ist, und ich zu dir sage ‚Du lügst’, dann gebe ich dir diesen Teller Gold.“
Da begann der Bauer: „Ja, lieber Herr, was gibt es nicht alles auf der Welt! Da ist mir doch neulich eine unangenehme Geschichte passiert. Ich war noch gar nicht geboren, als ich mich bei einem Herrn zum Bienenhüten verdingte. Es waren fünfzig Bienenvölker. Ich mußte sie jedesmal zählen, bevor ich sie zum Futterholen hinausließ. Wenn sie zurückkamen, mußte ich sie wieder zählen, mußte sie melken und in die Bienenkörbe jagen.“
„Die Welt ist groß, das kann schon stimmen“, sagte der Gutsherr.
Der Bauer schaute auf das Gold und sprach weiter: „Eines Morgens ließ ich die Bienen wieder auf die Weide. Als sie nach Hause kamen, fehlten zwölf Bienen. Was sollte ich da tun? Vielleicht waren sie im Sumpf steckengeblieben? Ich machte mich auf, sie zu suchen. Ich lief und lief, da sah ich elf Bienen blutig und verwundet vorbeifliegen.
Die zwölfte aber fehlte. Welch ein Unglück! Ich lief weiter. Da sah ich, daß am anderen Ufer des Flusses ein Rudel Wölfe meine Biene umringt hatte und sie töten wollte. Sie wehrte sich nach Leibeskräften. Ich lief ihr spornstreichs zu Hilfe. Ich rannte am Fluß entlang, aber da war kein Dampfer. Ich sah, daß es nur noch kurze Zeit dauern würde, bis die Wölfe sie zerrissen. Da packte ich mich selbst am Schopf, stieß mich ab, ruderte mit den Armen und flog auf die andere Seite des Flus-ses.“
„Das kann schon stimmen“, sagte der Gutsherr.
„Durch den Aufprall versank ich bis zum Gürtel in der Erde und blieb stecken. Ich versuchte alles mögliche, kam aber nicht heraus. Ohne Spaten ist da nichts zu machen, dachte ich bei mir. Da rannte ich los, lief so schnell ich konnte nach Hause, holte einen Spaten und lief zurück. Ich grub mich aus und eilte der Biene zu Hilfe.“
„Die Welt ist groß, das kann schon stimmen“, sagte der Gutsherr.
„Ich lief hin und jagte die Wölfe weg, aber die Biene lebte nicht mehr. An den Seiten baumelte das Fleisch in Fetzen herab, und das Blut floß oh-ne Unterlaß! Ohne lange zu überlegen, schnitt ich ihr mit dem Messer die Gurgel durch und schlach-tete sie. Dann nahm ich sie aus und brachte das Fleisch nach Hause. Zwölf Kübel voll Fleisch waren es.“
„Die Welt ist groß, das kann schon stimmen“, sagte der Gutsherr.
„Da erinnerte ich mich, daß die Knochen noch liegengeblieben waren. Ich dachte, daß die Leute schimpfen würden, weil ich mehr als eine Desjatine Weideland mit Knochen übersät hatte. Ich lief hin und warf sie in den Fluß. Ich hob auch den Rüssel auf und warf ihn weg. Er sollte in den Fluß fallen, aber er steckte mit einem Ende in der Erde und stieß mit dem anderen an den Himmel.“
„Die Welt ist groß, das kann schon stimmen“, sagte der Gutsherr.
„Ich kletterte an diesem Rüssel in den Himmel. Ich kletterte und kletterte und kam schließlich oben an. Da sah ich in einer Hütte die Heiligen feiern. Sie tranken Schnaps und Wein, aßen dazu und sangen unanständige Lieder. Da dachte ich bei mir, mit Betrunkenen laß dich nicht ein, sonst kriegst du noch eine Tracht Prügel! Ich ging also weiter. In einer anderen Hütte hatte sich der heilige Nikolaus so mit Branntwein vollaufen lassen, daß er wie ein Sack unter einer Bank lag und schnarchte, als hätte er Weizen verkauft.“
„Das kann vielleicht auch stimmen.“
„Neben ihm lag eine Mütze, ganz aus Gold und Edelsteinen. Ich hob die Mütze auf und eilte zurück. Inzwischen war der heilige Nikolaus aufgewacht und suchte seine Mütze. Er erhob ein furchtbares Geschrei. Da dachte ich mir, wenn man dich schnappt, ergeht es dir schlecht! Ich konnte aber die Stelle nicht finden, wo der Rüssel stand. Schließlich fand ich einen Haufen Säge-mehl. Ich drehte mir gleich einen Strick daraus. Ich band ein Ende fest und ließ mich an dem
Strick hinab. Als ich am Ende des Strickes angelangt war, war die Erde noch weit entfernt. Was sollte ich da tun? Ich schnitt oben ein Stück Strick ab, fügte es unten an und ließ mich weiter hinab.“
„Die Welt ist groß, das kann schon stimmen!“
„So stand ich nun auf der Erde. Aber da sah ich, daß es gar nicht unsere Erde war. Aha, dachte ich bei mir, das ist sicherlich das Fegefeuer, und ging weiter. Da sah ich Euer Väterchen, Gott hab ihn selig, zerrissen, zerlumpt und barfuß Schweine hüten.“
„Du lügst, du Flegel!“
Der Bauer griff schnell nach dem Teller mit dem Gold und verschwand durch die Tür.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


9 × = neun

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>