Von den zwölf Aposteln oder Wie eine Hausfrau ihren Mann aus der Not rettete

In einen kleinen Ort kam einmal ein Meister, um für die neue Kirche zwölf Apostelfiguren zu schaffen. Der Bischof hatte mit ihm einen Vertrag ab-geschlossen, in dem eine bestimmte Frist für die Fertigstellung festgelegt war. Er hatte ihm viel Geld als Pfand abgenommen. Neun Figuren hatte der Meister bereits fertig, drei aber fehlten noch. Da begann er zu saufen, so stark zu saufen, daß er vergaß, die letzten drei Figuren fristgemäß fertigzustellen. Als seine Frau die Papiere durchsah, merkte sie, daß die Frist bereits ablief und ihm viel Geld verlorenging. Sie lief in den Ort, um ihren Mann zu suchen, und fand ihn in der Schenke. Dort trank er Branntwein und kümmerte sich um nichts. Da sagte sie zu ihm: „Du Dummkopf! Morgen früh kommt die Kommission, um die zwölf Apostel abzunehmen, du aber hast drei Figuren noch nicht fertig. Dein ganzes Geld geht dir verloren!“
Er sprang vom Tisch auf und griff sich an den Kopf. „Sag mir nur, was ich tun soll? Um mich ist es geschehen!“
Da sagte sie: „Höre auf mich! Laß das Branntweintrinken! Komm nach Hause! Dort werden wir etwas unternehmen. Wenn du auf mich hörst, werde ich dir aus der Not helfen.“
„Ich werde auf dich hören“, sagte der Mann.
Als sie nach Hause kamen, sagte die Frau: „Bleib du in der Hütte sitzen, bis ich zurückkomme!“
Sie zog sich ihr bestes Kleid an und lief wieder in den Ort. Sie war jung und hübsch, und da sie obendrein schön angezogen war, konnte man sich an ihr einfach nicht sattsehen. Sie lief die Straße entlang und grüßte die Bekannten (als Frau eines angesehenen Meisters hatte sie viele Bekannte in dem Ort). Da trat ein junger Offizier an sie heran und fragte: „Guten Tag, meine Dame, wohin ge-hen Sie?“
Sie antwortete: „Ich habe zu tun.“
„Gestatten Sie mir, Madame, mit Ihnen ein wenig zu plaudern?“
Da sagte sie: „Ich habe keine Zeit, ich habe es eilig. Wenn Sie mit mir plaudern wollen, dann kommen Sie heute abend um neun Uhr in meine Wohnung!“
Dann lief sie weiter. Der junge Offizier aber ging Wein und etwas zu essen kaufen. Dann machte er sich auf den Weg, um pünktlich um neun Uhr im Hause des Meisters zu sein.
Da traf ein alter Oberst die Frau des Meisters auf der Straße und sagte: „Guten Tag, reizende Dame! Gestatten Sie mir, Sie zu begleiten und mit Ihnen ein wenig zu plaudern?“
Da sagte sie: „Ich habe es eilig. Ich bin geschäftlich unterwegs. Wenn Sie mit mir plaudern wollen, dann kommen Sie um zehn Uhr in meine Wohnung!“ Dann lief sie weiter die Straße entlang.
Schließlich traf sie den Popen, und der Pope sagte: „Meine Schöne, was gibt es Neues? Wollen Sie nicht zu mir nach Hause kommen, um etwas Tee zu trinken?“
„Ich habe keine Zeit, ich bin geschäftlich unterwegs“, sagte sie. „Wenn Sie gestatten, bitte ich Sie für elf Uhr zu mir in die Wohnung!“
Dann lief sie mit den teuren Sachen, die sie ge-kauft hatte, nach Hause. (Sie hatte nämlich zu essen und zu trinken eingekauft. Als der Meister sah, daß seine Frau so viele gute Sachen mitge-bracht hatte, verstand er gar nichts mehr. Sie sagte: „Wir werden heute allerhand zu tun haben! Um neun Uhr abends kommt ein junger Offizier zu mir, um zehn Uhr ein alter Oberst und um elf Uhr das Väterchen. Du aber geh jetzt und komme um halb zwölf zurück.“
Der Meister nahm sein Werkzeug und seine Ta-sche und ging weg.
Pünktlich um neun Uhr abends kam der junge Offizier. Er begrüßte die junge Frau des Meisters und setzte sich zu ihr an den Tisch. Sie tranken jeder ein Glas und begannen sich zu unterhalten.
Er fragte: „Sag mal, was würdest du tun, wenn dein Mann plötzlich nach Hause käme?“
„Gar nichts“, sagte sie, „ich würde Euch verstecken.“
Da wurde es auch schon bald zehn Uhr. Der Offizier fragte: „Warum warten wir so lange, wollen wir nicht in dein Zimmer gehen?“
Da hörte man einen Wagen vorfahren, und je-mand klopfte ans Fenster. Der Offizier fragte: „Wer ist das?“
Sie sagte: „Vielleicht mein Mann.“
Da sagte er: „Was soll ich tun?“
„Zieht Euch schnell aus, Herr Offizier, zieht Euch schnell aus!“
Als er sich ausgezogen hatte, sagte sie: „Und jetzt stellt Euch neben diese Figuren!“
So wurde der Offizier zum zehnten Apostel, war und blieb es.
Sie öffnete die Tür, und der Oberst trat ein.
Sie begrüßten sich und setzten sich an den Tisch. Alles verlief genauso wie mit dem Offizier.
Um elf klopfte der Pope ans Fenster. Der Oberst sprang auf und fragte: „Was soll ich tun?“
„Zieht Euch aus, Herr Oberst, und stellt Euch neben diese Apostel! Macht aber schnell!“
So stellte er sich daneben und wurde zum elften Apostel.
Dann ließ die Frau den Popen ein. Sie begrüß-ten sich auf die gleiche Weise. Sie setzten sich an den Tisch, tranken und plauderten. Dann fragte der Pope: „Was wäre, wenn dein Mann nach Hau-se käme?“
„Gar nichts. Sie müßten sich ausziehen und neben die Apostel stellen.“
In dem Augenblick klopfte ihr Mann ans Fen-ster. Sie sagte: „Zieht Euch schnell aus, Väterchen, mein Mann kommt wirklich nach Hause!“
Das Väterchen zog sich aus, stellte sich neben den Oberst und wurde so zum zwölften Apostel.
Der Meister kam und sah die zwölf Apostel stehen. Seine Frau gab ihm zu essen und zu trinken und sagte: „Leg dich nicht schlafen, sondern fang zu arbeiten an, denn wenn es hell wird, kommt die Kommission, um die Apostel abzunehmen.“
Er aß und trank, dann zog er seine Arbeitskleidung an, nahm Farbe und Pinsel und malte die toten Figuren an.
Dann kam die Kommission, um die Apostel abzunehmen. Sie bestand aus dem Bischof und vielen Pfaffen. Sie setzten sich erst einmal hin, um zu essen und zu trinken. Sie aßen und tranken so viel, daß es ihnen schon schwindlig im Kopf wur-de. Ein Pfaffe, der nur wenig Schnaps getrunken hatte, stand auf und ging sich die Figuren ansehen. Er sah sich alle Apostel an, aber die drei letz-ten betrachtete er besonders genau. Dann kam er zur Kommission zurück und sagte: „Das ist ein Meister! Neun Apostel sind Lebenden ähnlich, aber die letzten drei sehen aus, als ob sie lebendig wären.“
Dann sahen sich der Bischof und die Pfaffen die Figuren an. Der Bischof sagte: „Sehr gut gemacht, nur diese drei Apostelköpfe müssen noch etwas gesäubert werden.“ Da nahm der Meister ein Messer, um sie zu säubern. Als er zu den letz-ten drei Aposteln kam, liefen sie schnell weg. Der Pope stieß gegen eine Figur, da fiel sie um und ging entzwei. Und so flohen die drei Apostel.
Da schrie der Bischof: „Macht schnell die Tür zu, sonst laufen noch alle Apostel weg oder gehen entzwei! Vier Figuren haben wir schon verloren. Wir werden das Doppelte dafür bezahlen. Wir verlängern dir die Frist, lieber Meister, und du machst sie neu.“
Dann fuhr die Kommission davon, und der Meister umarmte seine Frau und sagte: „Hab Dank, daß du mir in der Not geholfen hast!“
Und dann stellte der Meister vier neue Apostelfiguren her.

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