Es lebten einmal ein Zar und eine Zarin; die hat-ten einen Sohn und eine Tochter, der Sohn hieß Iwanuschka und die Tochter Aljonuschka. Da star-ben der Zar und die Zarin; die Kinder blieben allein zurück und zogen durch die weite Welt. Sie gingen und gingen und gingen…; sie gehen und sehen einen Teich, und an dem Teich weidet eine Herde Kühe. „Ich habe Durst“, sagt Iwanuschka. „Trink nicht, Brüderchen, sonst wirst du ein Kälb-chen“, sagt Aljonuschka. Er gehorchte, und sie gingen weiter; sie gingen und gingen und sehen einen Fluß, und daneben eine Herde Pferde. „Ach, Schwesterchen! Wenn du wüßtest, wie mich dür-stet!“
„Trink nicht, Brüderchen, sonst wirst du ein Fül-len!“ Iwanuschka gehorchte, und sie gingen wei-ter; sie gingen und gingen und sehen einen See, und an seinem Ufer tummelt sich eine Herde Schafe. „Ach, Schwesterchen! Ich habe fürchterli-chen Durst l“ – „Trink nicht, Brüderchen, sonst wirst du ein Schafböckchen!“ Iwanuschka ge-horchte, und sie gingen weiter; sie gingen und gingen und sehen ein Flüßchen, daneben aber werden Schweine gehütet. „Ach, Schwesterchen, ich trinke; ich habe schrecklichen Durst!“ – „Trink nicht, Brüderchen, sonst wirst du ein Ferkelchen!“ Iwanuschka gehorchte wieder, und sie gingen weiter; sie gingen und gingen und sehen: am Wasser weidet eine Herde Ziegen. „Ach, Schwe-sterchen, ich trinke!“ – „Trink nicht, Brüderchen, sonst wirst du ein Böckchen!“ Er hielt’s nicht aus, gehorchte der Schwester nicht, trank und wurde ein Böckchen, springt vor Aljonuschka her und schreit: „Mek-mek-mek! Mek-mek-mek!“
Aljonuschka band ihm einen seidenen Gürtel um und führte es daran, und sie weinte und wein-te bitterlich… Das Böckchen lief und lief und lief in den Garten zu einem Zaren. Die Leute sahen’s und meldeten sogleich dem Zaren: „Bei uns, Eure Kaiserliche Majestät, ist im Garten ein Böckchen, ein Mädchen hält es an einem Gürtel, das ist aber ein schönes Kind!“ Der Zar befahl zu fragen, wer sie ist. Die Leute fragen sie: woher sie ist und welcher Herkunft? „So und so“, sagt Aljonuschka, „es war ein Zar und eine Zarin, die starben, wir Kinder blieben zurück, ich, die Zarentochter, und mein Brüderchen hier, der Zarewitsch; er hielt’s nicht aus, hat Wasser getrunken und ist ein Böck-chen geworden.“ Die Leute meldeten das dem Za-ren. Der Zar rief Aljonuschka und befragte sie über alles; sie gefiel ihm, und der Zar wollte sie heiraten. Bald machten sie Hochzeit, lebten mit-einander, und das Böckchen mit ihnen – tummelt sich im Garten und trinkt und ißt zusammen mit dem Zaren und der Zarin.
Einmal ritt der Zar auf die Jagd. Zu dieser Zeit kam eine Zauberin und behexte die Zarin; Aljo-nuschka wurde krank, so elend und so bleich. Am Hofe des Zaren wurde alles traurig; die Blumen im Garten welkten, die Bäume vertrockneten, und das Gras wurde dürr. Der Zar kehrte zurück und fragt die Zarin: „Bist du krank?“ – „Ja, ich bin krank“, sagt die Zarin. Am anderen Tag ritt der Zar wieder auf die Jagd. Aljonuschka liegt krank; da kommt die Zauberin zu ihr und sagt: „Willst du, daß ich dich heile? Geh zu dem und dem Meer um die und die Zeit und trink dort Wasser!“ Die Zarin gehorchte und ging in der Dämmerung zum Meer, die Zauberin aber wartet schon auf sie, packte sie, band ihr einen Stein um den Hals und warf sie ins Meer. Aljonuschka sank auf den Grund; das Böckchen kam gelaufen und weinte bitterlich. Die Zauberin aber nahm die Gestalt der Zarin an und ging ins Schloß. Der Zar kam zurück und freute sich, daß die Zarin wieder gesund war. Sie deckten den Tisch und setzten sich zum Es-sen. „Und wo ist das Böckchen?“ fragt der Zar. „Ich will es nicht haben“, sagt die Zauberin, „ich habe verboten, es einzulassen; es riecht so nach Bock.“ Am anderen Tag, kaum daß der Zar auf die Jagd gefahren war, schlug die Zauberin das Böck-chen, prügelte und prügelte’s und droht ihm: „Warte nur, wenn der Zar zurückkommt, bitte ich, dich zu schlachten.“ Der Zar kam; die Zauberin bedrängt ihn: Befiehl doch nur, das Böckchen zu schlachten; es ist mir über, ist mir ganz zuwider geworden! Dem Zar tat das Böckchen leid, aber was wollte er machen, sie läßt ihm keine Ruhe, bittet so, daß der Zar schließlich einverstanden war und erlaubte, es zu schlachten.
Das Böckchen sieht: schon schliffen sie die stählernen Messer, und es begann zu weinen, lief zum Zaren und bettelt: „Zar! Laß mich ans Meer gehen, Wasser trinken und meine Därme spülen!“
Der Zar ließ es gehen. Da lief das Böckchen zum Meer, stellte sich ans Ufer und schrie kläg-lich:
Aljonuschka, mein Schwesterchen!
Komm doch, komm ans Ufer her.
Es brennen die Feuer, die brennenden,
Es kochen die Kessel, die kochenden.
Sie schleifen die Messer, die stählernen.
Und wollen, ach wollen mich schlachten!
Sie antwortet ihm:
Iwanuschka, mein Brüderchen!
Ein schwerer Stein zieht mich zum Grunde,
Eine grimmige Schlange hat’s Herz
ausgesaugt!
Das Böckchen weinte und lief zurück. Zur Mittags-zeit bettelt es den Zaren wieder: „Zar! Laß mich ans Meer gehen, Wasser trinken und meine Där-me spülen!“ Der Zar ließ es gehen. Da lief das Böckchen zum Meer und schrie kläglich:
Aljonuschka, mein Schwesterchen!
Komm doch, komm ans Ufer her.
Es brennen die Feuer, die brennenden.
Es kochen die Kessel, die kochenden.
Sie schleifen die Messer, die stählernen,
Und wollen, ach wollen mich schlachten!
Sie antwortet ihm:
Iwanuschka, mein Brüderchen!
Ein schwerer Stein zieht mich zum Grunde,
Eine grimmige Schlange hat’s Herz
ausgesaugt!
Das Böckchen weinte und lief wieder nach Hause. Der Zar denkt: Was bedeutet das wohl, das Böck-chen läuft immer zum Meer? Da bettelte das Böckchen zum drittenmal: „Zar! Laß mich ans Meer gehen, Wasser trinken und meine Därme spülen!“ Der Zar ließ es fort und ging ihm nach; kommt zum Meer und hört – das Böckchen ruft sein Schwesterchen:
Aljonuschka, mein Schwesterchen!
Komm doch, komm ans Ufer her.
Es brennen die Feuer, die brennenden.
Es kochen die Kessel, die kochenden.
Sie schleifen die Messer, die stählernen.
Und wollen, ach wollen mich schlachten!
Sie antwortet ihm:
Iwanuschka, mein Brüderchen!
Ein schwerer Stein zieht mich zum Grunde,
Eine grimmige Schlange hat’s Herz
ausgesaugt!
Das Böckchen rief sein Schwesterchen nochmals. Aljonuschka kam nach oben geschwommen und zeigte sich über dem Wasser. Der Zar ergriff sie, riß den Stein von ihrem Hals, zog Aljonuschka ans Ufer und fragt: „Wie ist das geschehen?“ Sie er-zählte ihm alles. Der Zar freute sich, und das Böckchen auch – es springt umher, und im Garten wurde alles grün und begann zu blühen. Die Zau-berin aber befahl der Zar hinzurichten: sie errich-teten auf dem Hof einen Scheiterhaufen und ver-brannten sie. Danach lebten Zar und Zarin mit dem Böckchen herrlich und in Freuden, wurden reiche Leute und tranken und aßen zusammen wie früher.
Schwesterchen Aljonuschka und Brüderchen Iwanuschka
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