Ein Zar hatte drei Töchter, und die verschwanden spurlos. Im Dorf wohnte eine Witwe, und deren jüngster Sohn Michas wußte, wo sich die Zarentöchter befanden.
Einmal kam eine alte Bettlerin aus der Stadt zu der Witwe und bat: „Gebt mir ein Stück Brot!“
Die Witwe gab es ihr und fragte: „Was gibt es Neues bei euch in der Stadt?“
Die Bettlerin sagte: „Unserem Zaren sind drei Töchter verschwunden.“
Da sagte Michas der Witwensohn: „Ich weiß, wo sie sind.“
Die Bettlerin verließ die Hütte und verbreitete das Gerücht, daß Michas der Witwensohn wisse, wo die Zarentöchter sind. Dieses Gerücht kam auch dem Zaren zu Ohren. Er schickte seinen Minister zu Michas, um zu erfahren, wo die Zaren-töchter sind. Der Minister kam in das Dorf und fragte Michas: „Bist du Michas der Witwensohn?“
„Das bin ich.“
„Weißt du, wo die Zarentöchter sind?“
„Das weiß ich, aber ich werde es Euch nicht sagen.“
„Warum nicht?“
„Wenn ich etwas vom Zaren will, gehe ich selbst hin, und wenn der Zar etwas von mir will, so mag er selbst kommen.“
Da fuhr der Minister wieder zum Zaren. Der Zar fragte: „Was gibt’s?“
Er sagte: „Michas der Witwensohn will, daß Ihr selbst zu ihm kommt. Mit mir hat er sich in kein Gespräch eingelassen.“
Der Zar machte sich fertig und fuhr zu Michas dem Witwensohn.
Er kam und fragte: „Bist du Michas der Witwen-sohn?“
„Der bin ich.“
„Weißt du, wo meine Töchter sind?“
„Das weiß ich.“
„Wirst du es mir sagen?“
„Ich werde es nicht sagen; aber ich verlange von Ihnen Dokumente, daß Sie einverstanden sind, daß ich und meine Brüder Ihre Töchter hei-raten. Dann werde ich Ihnen die Töchter bringen.“
Der Zar machte die Dokumente und gab sie Mi-chas dem Witwensohn. Und Michas machte sich mit seinen beiden Brüdern auf den Weg in ein an-deres Zarenreich.
Er ging mit den Dokumenten des Zaren zum Gutsbesitzer und bat ihn um drei der stärksten Pferde. Da führte der Gutsbesitzer Michas in den Stall und sagte: „Wählt euch die Pferde aus, die ihr braucht.“
Michas der Witwensohn begann die Pferde für sich und seine Brüder auszuwählen. Aber welchem Pferd er auch immer die Hand auf den Rücken legte, es fiel nieder. Er war sehr stark, dieser Wit-wensohn. Schließlich wählte er drei Pferde für sich und seine Brüder aus. Sie setzten sich auf die Pferde und ritten los.
Sie ritten einen Tag, da wurde ihnen das Reiten über. Da sagte der Witwensohn zu seinen Brüdern: „Wir müssen zu einer Schmiede reiten und drei Keulen machen lassen, eine zu drei, eine zu sechs und eine zu zwölf Pud. Für den Ältesten die zu drei Pud, für den Zweiten die zu sechs Pud und für mich die zu zwölf Pud.“
So ritten sie zum Schmied. Aber jede Keule, die der Schmied machte, ging entzwei, wenn der Witwensohn sie an sein Knie schlug.
Da erriet der Schmied, was für Eisen diese starken Männer brauchten, und machte ihnen drei gute Keulen.
Und Michas sagte zu seinen Brüdern: „Wir müs-sen die Keulen werfen. Wo die Keule des Ältesten hinfliegt, dort werden wir übernachten!“
Da warf der älteste Bruder seine Drei-Pud-Keule. Als die drei Brüder einen ganzen Tag gerit-ten waren, kamen sie zu dieser Keule. Da sagte Michas: „Jetzt gehen wir zum Fluß; am Fluß steht ein Turm, und in diesem Turm lebt die älteste Tochter des Zaren.“
Und er sagte zum ältesten Bruder: „Geh und zertrümmere diesen Turm mit deiner Keule! Du zertrümmerst die Mauer und holst die Zarentoch-ter heraus!“
Da begann der älteste Bruder mit der Keule gegen den Turm zu schlagen. Er schlug und schlug und zerschlug ihn schließlich. Die Zarentochter kam aus dem Turm heraus und sagte: „Ihr seid es also, ihr hübschen russischen Burschen? Aber wenn mein Drache angeflogen kommt, wird er euch fressen!“
Der Witwensohn sagte: „Habt keine Angst, er wird uns nicht fressen. Ich werde ihm einen Denkzettel geben. Ihr bleibt mit der Zarentochter hier, Brüder, und ich gehe auf Wacht.“
Er hielt Wache. Als die zwölfte Stunde nahte, kam ein dreiköpfiger Drache auf einem Pferde an-geflogen. Das Pferd flog bis zur Brücke und scheu-te. Da sagte der Drache: „Warum scheust du, mein Pferd? Ich bin doch der Herrscher in dieser Welt, nur der Witwensohn Michas ist stärker als ich, und dessen Knochen bringt der Rabe nicht hierher.“
Da trat Michas der Witwensohn mitten auf die Brücke und sagte: „Nein, der Rabe bringt meine Knochen nicht hierher. Ich bin selbst gekommen.“
Da sagte der Drache: „Was denn, wollen wir uns schlagen oder vertragen?“
Da antwortete der Witwensohn Michas: „Ein kühner Bursche verträgt sich niemals mit Dra-chen, sondern schlägt sich immer mit ihnen.“
Und als er mit seiner Keule auf den Drachen losschlug, tötete er ihn auch gleich, zog die Leiche von der Brücke und warf sie in den Fluß. Da erschien ein alter Mann mit einem Boot auf dem Fluß und steckte die Leiche des Drachen in einen Sack. Dann fuhr er mit gebeugtem Rücken den Fluß hinunter. Der Witwensohn ging zu den Brüdern und der Zarentochter und sagte zu dieser: „Dein Drache ist nicht mehr da, er ist umgekommen.“
Und dann sagte er zu seinem mittleren Bruder: „Wirf du jetzt deine Keule! Wo die Keule hinfliegt, dort wollen wir übernachten.“
Der Bruder warf sie, und sie ritten ihr zwei Tags nach. Da kamen sie zum Meer. Dort stand ein Turm, und an dem Turm lag die Keule von sechs Pud. Michas sagte: „Hier wollen wir übernachten. In dem Turm sitzt die andere Zarentochter. Geh, mittlerer Bruder, zerschlag diesen Turm und hole die Zarentochter heraus!“
Der mittlere Bruder schlug und schlug mit der Keule, konnte den Turm aber nicht zerschlagen. Da kam Michas, stieß ihn mit dem Fuß an, und der Turm fiel auseinander. Die andere Zarentochter kam aus dem Turm heraus und sagte: „Ach, ihr seid das, ihr kühnen russischen Burschen! Und auch meine älteste Schwester ist hier! Aber wenn mein sechsköpfiger Drache kommt, wird er euch alle fressen!“
Da sagte Michas: „Habt keine Angst, er wird uns nicht fressen; wir werden ihm einen Denkzet-tel geben. Übernachtet ihr hier, ich werde wa-chen!“
Er ging hinaus und paßte auf. Als die zwölfte Stunde nahte, kam der sechsköpfige Drache auf seinem Pferd angeflogen, und alles erzitterte. Das Pferd flog bis zur Brücke und scheute. Da sagte der Drache: „Warum scheust du, mein Pferd? Ich bin aller Welt Herrscher, nur irgendwo gibt es den Witwensohn Michas; er ist stärker als ich, aber dessen Knochen bringt der Rabe nicht hierher.“
Da trat Michas auf die Mitte der Brücke und sagte: „Nein, der Rabe bringt meine Knochen nicht, sondern ich bin selbst gekommen.“
Da sagte der Drache: „Was denn, wollen wir uns schlagen oder vertragen?“
Und Michas der Witwensohn sagte: „Ein kühner Bursche verträgt sich nicht mit Drachen, sondern schlägt sich mit ihnen!“
Und er hob seine Keule, und als er sie auf den Drachen fallen ließ, flogen vier Köpfe davon, und drei wuchsen wieder nach. Als er ein zweites Mal zuschlug, tötete er den Drachen.
Michas trat zur Leiche des Drachen und warf sie ins Wasser. Da erschien derselbe alte Mann, zog die Leiche des Drachen in sein Boot, legte sie in einen Sack und fuhr weiter den Fluß entlang.
Michas kam zu der Stelle, wo die Brüder und die Zarentöchter übernachteten. Die Zarentöchter sagten: „Wir danken dir, daß du uns aus der Gewalt des Drachen befreit hast!“
Michas sagte: „Jetzt werfe ich meine Keule.“
Und er warf sie. Sie ritten vier Tage und vier Nächte, bis sie zum Schwarzen Meer kamen. Dort stand ein großer Turm.
Michas sagte: „Hier wird die dritte Zarentochter sein. Wir müssen auch diesen Turm zertrümmern und die Zarentochter herausholen. Ich will den Turm zerstören, und diese Zarentochter wird meine Frau! Hört nur auf mich, Brüder, was ich sage, das macht!“
„Gut, wir werden deinen Befehl ausführen!“
„Geht auf Wacht und laßt weder Fliegen noch Mäuse durch, sondern schlagt sie, daß nichts üb-rigbleibt! Ich will gehen und den Turm zerstören.“
Michas schlug und schlug und zertrümmerte den Turm noch vor der neunten Stunde. Da kam die jüngste Zarentochter aus dem Turm und sagte: „Ach du bist das, kühner Bursche, und ihr, meine Schwestern, seid auch da! Ihr tut mir leid, mein zwölfköpfiger Drache wird kommen und alle fressen.“
Michas sagte: „Fürchte dich nicht, er wird uns nicht fressen, ich werde ihm einen Denkzettel geben!“
Die Zarentöchter legten sich schlafen, und er dachte: Ich will gehen und die Posten überprüfen.
Als er zu seinen Brüdern kam, schliefen sie. Da schrie Michas: „Was macht ihr?“
Sie sagten: „Wir sind etwas eingeschlafen.“
„Steht auf, ihr Dummköpfe. So bringt ihr mich ja ums Leben und kommt selbst auch um. Hört auf das, was ich euch sage! Schlaft nicht! Geht zu meinem Pferd und schaut auf meine Handschuhe, die dort hängen! Wenn aus diesen Handschuhen Blut in ein Glas darunter tropft, dann bindet mein Pferd ab und laßt es laufen! Ich will Wache hal-ten.“
Die Brüder waren einverstanden, und Michas begab sich auf seinen Posten. Es kam die zwölfte Stunde, und noch rührte sich nichts. Plötzlich bebte und lärmte etwas. Der zwölfköpfige Drache kam angeflogen. Als das Pferd des Drachen an der Brücke scheute, sagte der Drache: „Warum scheust du? Ich bin aller Welt Herr. Nur Michas der Witwensohn ist stärker als ich. Aber seine Knochen bringt auch der Rabe nicht hierher.“
Da trat Michas auf die Brücke und sagte: „Nein, der Rabe bringt meine Knochen nicht. Ich bin selbst gekommen.“
Der Drache sagte: „Wollen wir uns schlagen oder vertragen?“
Da sagte Michas: „Ein kühner Bursche verträgt sich niemals mit einem Drachen!“
Und er hob seine Zwölf-Pud-Keule, und als er sie auf den Drachen hinuntersausen ließ, wurden ihm drei Köpfe abgeschlagen; sechs wuchsen gleich wieder nach. Da schlug der Drache Michas mit dem Schwanz auf den Kopf und schlug ihn bis zum Gürtel in die Erde. Michas sagte zu dem Dra-chen: „Du Teufel, laß uns ausruhen!“
Der Drache sagte:
„Gut!“
„Eine Stunde?“
„Nein, nur eine halbe Stunde!“
In diesem Augenblick sprang Michas aus der Erde heraus und schlug dem Drachen auf die Köp-fe. Neun Köpfe schlug er ab, und drei wuchsen gleich wieder nach. Aber als ihn der Drache mit dem Schwanz schlug, sank Michas bis zu den Lei-sten in die Erde.
Michas sagte: „Nun laß uns eine halbe Stunde ausruhen!“
Der Drache ließ ihn ausruhen. Michas wartete auf seine Brüder. Die aber schliefen. Aus dem Handschuh war schon viel Blut herausgeflossen. Das ganze Glas war voll. Als sie an der Seite et-was Feuchtes fühlten, wachten die Brüder auf und banden Michas’ Pferd los. Das Pferd lief zu seinem Herrn und blieb dort stehen.
Michas aber schlug sich nach der Ruhepause schon wieder mit dem Drachen. Er war schon bis zum Halse in die Erde hineingeschlagen, als er sagte: „Du Teufel, laß uns noch einmal ausruhen!“
Der Drache sagte: „Ich gebe dir nur fünf Minuten!“
Da sprang der Witwensohn aus der Erde, setzte sich auf das Pferd und schlug mit seiner Keule auf die Köpfe des Drachen. Er schlug ihm alle zwölf Köpfe ab und tötete den Drachen. Dann warf er ihn in das Schwarze Meer. Wieder erschien der Alte im Boot und nahm den Drachen mit. Michas aber wußte nicht, warum der alte Mann die Leichen der Drachen geholt hatte.
Er setzte sich auf das Pferd und ritt zu seinen Brüdern. Als er ankam, sagte er: „Ach, ihr Dummköpfe, warum habt ihr nicht auf mich ge-hört?“
„Na, was denn?“ sagten sie, „wir waren er-schrocken und sind eingeschlafen. Aber laß nur, jetzt reiten wir zum Zaren.“
Sie saßen auf, jeder nahm eine Zarentochter auf sein Pferd, und so ritten sie los. Als sie unge-fähr eine Werst geritten waren, merkte Michas, daß er seine Handschuhe vergessen hatte, und er sagte zu den Brüdern: „Bleibt hier stehen, ich reite nur zurück, meine Handschuhe holen!“
Michas ritt zu seinen Handschuhen zurück. Plötzlich erschien derselbe Alte, der die Leichen der Drachen in den Sack gesteckt hatte. Er faßte den Sack an einer Ecke, drehte sich im Kreise herum und plötzlich befand sich Michas in einem steinernen Turm und sah nur noch den Himmel. Da saß er nun in diesem engen Turm und dachte: Nun bin ich verloren!
Da kam eine Krähe geflogen, setzte sich oben auf die Mauer und sagte zu Michas: „Warum sitzt du hier?“
Und er antwortete: „Ach, ich bin verloren!“
Da sagte die Krähe zu ihm: „Hier hast du eine von meinen Federn. Wenn du etwas brauchst, dann stecke sie in Brand, und du wirst es haben!“
Michas nahm die Feder, hielt sie in den Händen und dachte: Was soll ich damit? Eine Feder bringt mich hier nicht heraus. Ich bin verloren! Und dann dachte er: Aber man müßte sie doch einmal an-stecken.
Er steckte sie an.
Da kam die Krähe angeflogen und fragte: „Was brauchst du?“
Er sagte: „Wie komme ich hier heraus?“
Die Krähe sagte: „Hier ist ein Pferdestall mit drei Säulen. Dort sitzt eine Schlange. Setze diesen Pferdestall in Brand und laß ihn so lange brennen, bis die Schlange dir drei Zügel gibt!“
Michas setzte den Pferdestall in Brand. Da kroch eine rote Schlange heraus und sagte zu Mi-chas: „Warum steckst du mich in Brand?“
Michas aber sagte: „Gib mir drei Zügel!“
Die Schlange sagte: „Ich habe keine.“
Da stieß sie Michas in das Feuer. Dort wurde es der Schlange zu heiß, und so gab sie Michas die drei Zügel, einen kupfernen, einen silbernen und einen goldenen. Michas löschte das Feuer und setzte sich wieder. Er saß und dachte: Was soll ich mit den Zügeln, ich bin hier doch verloren!
Dann erinnerte er sich, daß er die Feder an-brennen mußte. Als er die Feder angebrannt hat-te, kam die Krähe angeflogen und fragte: „Was brauchst du, Witwensohn Michas?“
Er sagte: „Wie komme ich hier heraus?“
Und die Krähe sagte: „Schüttle einen der drei Zügel!“
Michas nahm den kupfernen Zügel und schüttelte ihn. Da erschien ein kupfernes Pferd und fragte: „Was willst du?“
Michas sagte: „Wie komme ich von hier in die Freiheit?“
Das kupferne Pferd sagte zu ihm: „Setz dich auf mich und halte dich fest, ich werde dich hinaus-tragen!“
Er setzte sich. Doch das kupferne Pferd hatte ihn kaum einen Meter hochgetragen, als es wieder zurückfiel. Da nahm ihm Michas den Zügel ab, schüttelte ihn, und das kupferne Pferd ver-schwand.
Michas holte den zweiten Zügel und schüttelte ihn. Da erschien ein silbernes Pferd und fragte: „Was willst du?“
Michas sagte: „Trag mich hier heraus!“
„Gut!“
Michas saß auf, und das Pferd flog nach oben, aber schon nach einem halben Meter fiel es wie-der zurück. Da nahm er ihm den Zügel ab, schüttelte ihn, und das silberne Pferd verschwand.
Michas dachte: Hier bin ich verloren. Die Krähe hat mich betrogen. Aber egal, ich muß den dritten Zügel noch schütteln.
Das tat er, und ein goldenes Pferd erschien und fragte Michas: „Was willst du?“
Er sagte: „Du sollst mich in die Freiheit brin-gen!“
Das Pferd sagte zu ihm: „Setz dich auf mich und halt dich an meiner Mähne fest!“
Michas setzte sich, und das goldene Pferd brachte ihn in die Freiheit. Michas flog auf dem Pferd dahin und sah, daß es rings um das Pferd golden glänzte. Da erschrak Michas. Er hatte vergessen, daß ihm die Krähe gesagt hatte, er solle den Zügel schütteln. Michas hielt das goldene Pferd an, nahm ihm den Zügel ab und schüttelte ihn. Da verschwand das Pferd. Michas band den Zügel unter seine Jacke und ging los. Er war sehr müde und hatte Hunger.
Er ging durch ein Dorf und sah dort eine sehr schöne Hütte stehen. An der Hütte stand „Schneider“ geschrieben. Michas dachte: Ich will zu dem Schneider gehen, vielleicht gibt er mir etwas zu essen.
Er ging hinein und bat den Schneider: „Onkelchen, gib mir etwas zu essen!“
Da gab ihm der Schneider zu essen. Michas sagten „Laß mich bei dir arbeiten!“
Der Schneider sagte: „Ich habe nichts zu tun.“
Michas sagte zu ihm: „Du wirst schon Arbeit finden. Ich werde nur zwei Tage bei dir bleiben. Geh heute ins Städtchen auf den Markt. Dort wird man Kleider bestellen. Übernimm den Auftrag, er ist gut!“
In der Zeit, als Michas im Turm gefangen war, hatte der Alte, der die Leichen der Drachen geholt hatte, eine Tarnkappe aufgesetzt und die Brüder Michas’ mit den Zarentöchtern eingeholt. Sie hör-ten die Stimme des Alten, obwohl sie niemanden sehen konnten: „Wenn der Zar erfährt, daß Mi-chas die Zarentöchter befreit hat, erschlage ich euch!“
Sie erschraken, und als sie zum Zaren kamen, verschwiegen sie, daß Michas die Zarentöchter befreit hatte.
Und während die Brüder sich bereits auf ihre Hochzeit vorbereiteten, arbeitete Michas bei dem Schneider. Die Brüder aber dachten, daß er um-gekommen sei.
Der Schneider ging in das Städtchen zum Markt und sah dort eine Bekanntmachung hängen: Die älteste Zarentochter heiratet, und das schönste Kleid im Zarenreich soll für sie genäht werden. Wer ein solches Kleid näht, erhält vom Zaren fünftausend Dukaten.
Da erschrak der Schneider, aber trotzdem übernahm er es, ein solches Kleid zu nähen.
Als der Schneider nach Hause kam, fragte Michas: „Was gibt’s Neues, Onkelchen?“
Der Schneider sagte zu Michas: „Die älteste Za-rentochter heiratet ihren Befreier, und für sie muß ein Kleid für fünftausend Dukaten genäht werden.“
Michas sagte: „Ich weiß davon, wir wollen es heute nacht nähen!“
Die Nacht kam, und der Schneider sagte zu Mi-chas: „Komm, laß uns das Kleid nähen.“
Michas aber sagte: „Wir schaffen es schon noch. Schlaf erst einmal! Wir wollen es um zwölf Uhr nachts nähen.“
Der Schneider aber setzte sich hin und nähte. Er hatte Angst, daß ihn der Zar erschlagen lassen würde, wenn das Kleid nicht zum festgesetzten Zeitpunkt fertig wäre. So quälte er sich ab, legte sich schließlich aber doch zur Ruhe und schlief ein. Als Michas sah, daß der Schneider schlief, ging er hinaus auf den Hof und steckte die Feder an. Die Krähe kam angeflogen und fragte:
„Was willst du?“
„Der ältesten Tochter des Zaren muß ein Kleid genäht werden. Das schönste von allen Kleidern auf der Welt.“
Die Krähe flog davon, und nach ungefähr fünf Minuten brachte sie das Kleid, und alles erstrahl-te. Michas nahm es und hängte es ins Zimmer. Es wurde dort so hell wie am Tage. Dann legte er sich schlafen. Der Schneider erwachte und weckte Michas: „Steh auf, es ist schon Morgen, und wir werden das Kleid nicht schaffen!“
Michas lachte. „Es ist schon lange genäht.“
„Aber wo ist es denn?“
„Es hängt im Zimmer.“
Der Schneider sah nach, und ihm fielen bald die Augen heraus. Da sagte er zu Michas: „Wie hast du denn das geschafft?“
Michas antwortete: „Geh zum Zaren und sage ihm, daß das Kleid fertig ist, mag er selbst mit seiner Tochter zu uns kommen.“
Der Schneider ging noch im Morgengrauen zum Zaren und sagte: „Das Kleid ist fertig, Eure Ho-heit. Kommen Sie es abholen!“
Der Zar erwiderte: „Gut, wir kommen und holen es ab.“
Da kam der Zar mit der ältesten Tochter zum Schneider. Und der Zar sagte: „Zeigen Sie das Kleid!“
Der Schneider antwortete: „Dort im Zimmer hängt es.“
Der Zar öffnete die Tür und sagte: „Ach, ein gutes Kleid, dafür kann man schon fünftausend Du-katen geben.“
Er bezahlte das Geld und nahm das Kleid mit. Der Zar ließ eine Hochzeit feiern. Er gab seine äl-teste Tochter Michas’ ältestem Bruder zur Frau. Aber er mußte auch seine zweite Tochter Michas’ zweitem Bruder zur Frau geben. Und wieder gab der Zar bekannt, daß seine Tochter heiratet und ihr ein Kleid für zehntausend Dukaten genäht werden soll. Michas schickte wieder den Schneider in das Städtchen, und dieser übernahm den Auftrag. Haben wir der einen ein Kleid genäht, dachte er, nähen wir auch der anderen eins.
Der Schneider kam nach Hause und sagte zu Michas: „Habe ich es nicht falsch gemacht, daß ich das Kleid für zehntausend Dukaten zu nähen übernommen habe?“
„Etwas hast du schon falsch gemacht, du hät-test fünfzehntausend für ein solches Kleid nehmen sollen. Aber laß nur, es macht nichts.“
Die Nacht kam, und der Schneider sagte zu Michas: „Komm, laß uns nähen!“
Michas sagte: „Es eilt nicht, wir haben Zeit!“
Da legte sich der Schneider schlafen. Michas ging auf den Hof und brannte die Feder an. Die Krähe kam herbeigeflogen und fragte: „Was willst du?“
„Für die mittlere Tochter des Zaren muß ein Kleid genäht werden, das schöner ist als das für die älteste Tochter!“
Die Krähe sagte: „Gut, ich bringe es gleich!“ und flog davon.
Als sie das Kleid brachte, erstrahlte alles. Michas nahm das Kleid, hängte es ins Zimmer und legte sich schlafen. Der Schneider wachte mitten in der Nacht auf und sah, daß es hell war.
Da schrie er: „Steh auf, wir müssen nähen; sonst schaffen wir das Kleid nicht!“
Michas sagte: „Ich habe das Kleid schon lange genäht.“
„Und wo ist es?“
„Es hängt im Zimmer.“
Der Schneider schaute es voller Verwunderung an und dachte: Das ist eine Arbeit!
Zur festgesetzten Zeit erschien der Zar mit seiner mittleren Tochter, um das Kleid zu holen, und fragte: „Ist das Kleid fertig?“
„Es ist fertig.“
„Wo ist es?“
„Es hängt im Zimmer.“
Der Zar sah nach, wunderte sich sehr und dachte: Das ist ein Meister!
Er nahm das Kleid und fuhr mit seiner Tochter in den Palast. Und sie feierten die Hochzeit. Nun mußte der Zar noch die dritte, die jüngste Tochter verheiraten.
Michas sagte wieder zu dem Schneider: „Geh ins Städtchen. Wenn der Zar ein Kleid bestellt, dann nimm ihm möglichst viel Geld ab. Verlange, soviel dir gerade einfällt, der Zar wird es schon bezahlen!“
Da ging der Schneider in das Städtchen und sah dort eine Bekanntmachung hängen: Der jüngsten Tochter des Zaren muß das schönste Kleid der Welt genäht werden! Der Schneider kam zum Za-ren und sagte: „Ich kann ein solches Kleid nähen. Wieviel wollen Sie dafür geben?“
Der Zar sagte: „Ich gebe fünfzehntausend Du-katen.“
Da sagte der Schneider: „Das ist zuwenig, Sie müssen zwanzigtausend Dukaten geben!“
Der Zar dachte ein bißchen nach und sagte: „Na gut, ich gebe zwanzigtausend, nur muß das Kleid schöner sein als die ersten zwei! Und es muß möglichst schnell gemacht werden, denn morgen schon soll die Hochzeit sein!“
„Gut, ich werde es nähen. Kommen Sie morgen, und es wird fertig sein.“
Da kam der Schneider nach Hause und sagte zu Michas: „Ich denke, daß ich es nicht falsch ge-macht habe, ich habe dem Zaren eine Menge Geld abgenommen, zwanzigtausend Dukaten.“
„Das ist richtig. So muß man es dem Zaren ab-nehmen!“
Der Schneider sagte: „Nun, laß uns nähen!“
Aber Michas antwortete: „Es eilt nicht, wir nä-hen es schon noch.“
Der Schneider dachte: Ich muß doch einmal se-hen, wie er näht. Er quälte sich und quälte sich und schlief schließlich im Sitzen ein. Michas trat auf den Hof und steckte die Feder an. Die Krähe kam geflogen und fragte: „Was willst du?“
„Der jüngsten Tochter des Zaren muß das schönste Kleid auf der Welt genäht werden!“
„Gut, ich bringe es gleich.“
Nach einer knappen Minute brachte sie ein gol-denes Kleid.
Michas nahm das Kleid, hängte es ins Zimmer und legte sich schlafen. Der Schneider wachte in der Nacht auf und konnte die Augen überhaupt nicht aufmachen, so hell war es in der Hütte von diesem Kleid. Der Schneider dachte, daß es Morgen wäre, und weckte Michas. „Steh auf, wir wollen nähen. Ich will zusehen, wie du nähst!“
Michas sagte: „Ich habe schon lange genäht.“
„Und wo ist das Kleid?“
„Dort im Zimmer hängt es.“
Der Schneider ging in das Zimmer und fiel vor Schreck hin, weil er dachte, daß es brennt. Das Kleid aber strahlte und funkelte wie die Sterne. Als es Morgen wurde, stand Michas auf, schmierte sich voll Ruß, kletterte auf den Ofen und legte sich dort hin. Da kam der Zar mit seiner jüngsten Tochter. „Ist das Kleid fertig?“
„Es ist fertig.“
„Zeig es!“
„Dort im Zimmer hängt es.“
Sie schauten hinein und erschraken. Das war ein Schneider! Doch die Zarentochter dachte: Die-se Arbeit ist nicht von dir, alter Schneider. Und sie fragte: „Wer hat das Kleid genäht?“
Der Schneider erschrak.
Die Zarentochter dachte, daß der Drache das Kleid genäht habe, und sie fragte noch einmal: „Könnte ich vielleicht den Meister sehen, der das Kleid genäht hat?“
Der Schneider sagte nichts.
„Ich frage nochmals“, sagte die Zarentochter, „wer hat es genäht?“
Der Schneider zeigte mit dem Finger zum Ofen. „Der da hat es genäht.“
Die Zarentochter erkannte Michas sogleich. „Das ist ja mein Befreier, Michas der Witwen-sohn!“
Michas kletterte vom Ofen, rußbeschmiert, und die Zarentochter fiel ihm um den Hals und küßte ihn.
Der Zar wußte nicht, was hier los war. Seine Tochter küßte einen rußbeschmierten Mann. Und er sagte: „Komm, Tochter, wir gehen nach Hau-se!“
Die Zarentochter sagte: „Das ist mein Mann. Ich gehe nicht fort von ihm! Ich will dir alles er-zählen.“
Und sie erzählte dem Zaren, wie es gewesen war.
Der Zar überlegte und fragte: „Aber was sollen wir nun dem Königssohn sagen, der um dich an-hält, meine Tochter?“
Michas sagte: „Fahrt nach Hause und bereitet die Hochzeit vor! Wenn Ihr zur Kirche fahren wollt, sagt dem Bräutigam, bei uns bestehe ein Gesetz, daß Braut und Bräutigam getrennt zur Trauung fahren müssen!“
Zur Zarentochter aber sagte Michas: „Setz dich nicht mit dem Königssohn zusammen, denn ich will ihn umbringen!“
Da bereitete man im Palast alles auf die Hochzeit vor. Die Braut und der Bräutigam traten zu-sammen aus dem Zarenpalast, setzten sich aber in verschiedene Kutschen und fuhren auf ver-schiedenen Wegen in die Kirche. Michas nahm seinen Zügel, schüttelte ihn, und vor ihm stand das goldene Pferd. Er setzte sich auf das Pferd und ritt dem Königssohn, dem Bräutigam, entge-gen. Als er den Königssohn traf, erschlug er ihn. Das war gar kein richtiger Königssohn gewesen, sondern der Zauberer, der die Leichen der Drachen geholt und Michas mit der hohen Mauer umgeben hatte. Dieser Zauberer hatte sich in einen hübschen Königssohn verwandelt und hatte die Zarentochter und ihren Vater betrügen wollen.
Dann ritt Michas davon.
Michas der Witwensohn
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