In Kiew lebte einmal ein Fürst, der mußte jedes
Jahr einem Drachen Tribut schicken, entweder einen
jungen Burschen oder ein Mädchen. Schließlich
kam auch die Reihe an die Tochter des Fürsten.
Da konnte er nichts tun. So wie er die
anderen Bürger der Stadt hingeschickt hatte,
mußte er auch die Tochter opfern. So schickte er
sie zum Drachen.
Die Tochter aber war so hübsch, daß man es
nicht beschreiben kann, und der Drache gewann
sie lieb. Sie schmeichelte sich bei ihm ein und
fragte ihn: „Gibt es auf der Welt einen Menschen,
der dich besiegen könnte?“
„Ja“, sagte er, „es gibt einen in Kiew am Dnepr.
Wenn er Feuer in seiner Hütte macht, steigt der
Rauch bis zum Himmel. Und wenn er an den
Dnepr geht, um seine Felle zu weichen, trägt er
nicht nur eins, sondern gleich zwölf. Als sich die
Felle einmal im Dnepr voll Wasser gesaugt hatten,
hielt ich sie fest und wollte sehen, ob er sie herausziehen
könnte. Er aber merkte es gar nicht
und zog mich auch mit ans Ufer. Er ist der einzige,
vor dem ich Angst habe.“
Die Fürstentochter merkte sich das und überlegte,
wie sie einen Zettel zu ihrem Vater nach
Hause schicken könnte. Aber bis auf eine Taube, die sie voller Liebe großgezogen hatte, war keine
Seele bei ihr. Nun schrieb sie an ihren Vater: „Also
so und so, bei Euch, liebes Väterchen, in Kiew,
lebt ein Mann namens Kyrill Koshemjak, mit dem
Beinamen ‚der Gerber’. Laßt ihn durch alte Leute
fragen, ob er nicht mit dem Drachen kämpfen und
mich Arme aus der Gefangenschaft befreien will.
Bittet ihn, liebes Väterchen, mit Worten und Geschenken,
damit er sich nicht durch ein falsches
Wort gekränkt fühlt! Ich werde für ihn und für
Euch bis an mein Lebensende zu Gott beten.“ Das
schrieb sie, band den Zettel der Taube unter den
Flügel und ließ sie durchs Fenster davonfliegen.
Die Taube stieg zum Himmel empor und flog nach
Hause zum Fürstenhof. Da sahen die Kinder die
Taube. „Väterchen, Väterchen!“ sagten sie.
„Siehst du dort die Taube? Sie kommt von der
Schwester.“ Der Fürst freute sich zuerst, aber
dann überlegte und überlegte er und wurde
schließlich traurig. Dieser Verfluchte hat sicherlich
meine Tochter schon umgebracht, dachte er.
Dann rief er die Taube zu sich und fand den Zettel
unter ihrem Flügel. Er nahm ihn und las, was das
Töchterchen geschrieben hatte. Dann rief er die
ganze Obrigkeit zu sich, sie berieten miteinander
und schickten die ältesten Leute zu Kyrill Koshemjak
dem Gerber.
Als sie zu seiner Hütte kamen und die Tür ein
wenig öffneten, erschraken sie. Sie konnten es
nicht fassen, daß Kyrill zwölf Felle mit bloßen
Händen walkte. Als sich einer der Gesandten
räusperte, erschrak Kyrill und zerriß die zwölf Felle. Die Gesandten verneigten sich vor ihm und
sagten: „Der Fürst hat uns mit einer Bitte zu dir
geschickt.“
Er aber hörte gar nicht hin, weil er ihretwegen
seine zwölf Felle verdorben hatte. Sie baten ihn
vergeblich, gingen schließlich wieder fort und ließen
die Köpfe hängen. Da schickte der Fürst kleine
Kinder zu ihm. Als sie zu weinen begannen,
konnte Kyrill nicht widerstehen, begann selbst zu
weinen und sagte: „Für euch will ich es tun.“
Er ging zum Fürsten, holte zwölf Fässer Pech
und zwölf Fuhren Hanf, umwickelte sich mit dem
Hanf und tränkte ihn mit Pech. Dann nahm er eine
zehn Pud schwere Keule und ging los, um mit
dem Drachen zu kämpfen. Sie schlugen und
schlugen sich, und Kyrill erschlug den Drachen,
befreite die Fürstentochter und brachte sie dem
Fürsten zurück. Der Fürst wußte zuerst gar nicht,
wie er ihm danken und womit er ihn beschenken
sollte. Aber seit der Zeit heißt der Ort, in dem er
wohnte, Koshemjaki!
Kyrill Koshemjak der Gerber
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