Iwan-Wassersohn und Michail-Wassersohn

Ein Pope hatte eine Tochter, die war schon eine alte Jungfer. Sie war ganz neidisch auf Leute, die Kinder hatten.
„Ich bin ohne Kinder“, sagt sie, „eine alte Jungfer, was soll aus mir werden?“
Einmal ging sie mit zwei Eimern, Wasser zu holen. Wie sie den einen Eimer vollgeschöpft hat, sieht sie, im Eimer schwimmt ein Fläschchen. Sie nahm das Fläschchen und trank es ganz aus, so süß schmeckte es ihr. Sie schöpft mit der rechten Hand den zweiten Eimer voll und sieht, auch im zweiten Eimer ist ein Fläschchen. Da trank sie auch das zweite Fläschchen aus, und auch das schmeckte süß. Und auf einmal spürt sie, daß sie schwanger ist. In ihrem Leib wuchsen die Kinder nicht von Stunde zu Stunde, sondern von Minute zu Minute. Es vergingen vierzig Stunden, da gebar sie zwei Knaben. Die beiden Kinder wurden getauft, der eine auf den Namen Michail-Wassersohn, der andere auf den Namen Iwan-Wassersohn.
Die Kinder wuchsen rasch heran, innerhalb von sechs Wochen. Wie sie zwanzig Jahre alt sind, wollen sie das Jägerhandwerk ergreifen. Sie gin-gen und bestellten sich gleiche Gewehre, erhielten die Gewehre in wenigen Minuten und zogen auf die Jagd.
Wie sie so gehen, liegt da ein Hase. Sie legen an und wollen auf ihn schießen, da spricht der Hase zu ihnen:
„Schießt nicht auf mich, ich will euch dienen!“
Sie gehen weiter – da liegt da ein Fuchs. Sie legen an und wollen auf ihn schießen, aber der Fuchs sagt zu ihnen:
„Schießt nicht auf mich, ich will euch dienen!“
Weiter gehen sie – da liegt da ein Wolf. Sie legen an und wollen auf ihn schießen, er aber sagt zu ihnen mit Menschenstimme:
„Schießt nicht auf mich, Burschen, ich will euch dienen!“
Sie gehen weiter – da liegt ein Bär. Wieder legen sie an und wollen auf ihn schießen, er aber spricht zu ihnen mit Menschenstimme:
„Schießt nicht auf mich, Burschen, ich will euch dienen!“
Sie gehen weiter – da liegt ein Löwe. Sie legen an und wollen wieder schießen, aber der Löwe spricht mit Menschenstimme:
„Schießt nicht auf mich, Burschen, ich will euch dienen!“
Weiter gehen sie – da liegt ein Tiger. Sie legen an und wollen auf ihn schießen, da spricht er mit Menschenstimme:
„Schießt nicht auf mich, Burschen, ich will euch dienen!“
Wieder gehen sie weiter – da liegt ein Falke. Sie legen an und wollen auf ihn schießen, der Falke aber sagt zu ihnen:
„Schießt nicht auf mich, ich will euch dienen!“
So zogen sie durch den Wald, und alle Tiere, die sie fanden, sagten zu ihnen: „Wir wollen euch dienen!“
Danach kehrten sie heim. Zwölf Tage blieben sie zu Hause, dann gingen sie den gleichen Weg, ihre Meute zu sammeln. Sie versammelten ihr Tiervolk, alle ihre Falken und verschiedene abgerichtete Vögel und zogen auf die Jagd.
Sie liefen und liefen und kamen schließlich an einen Kreuzweg. Auf dem einen Weg stand geschrieben: „Zum Reichtum“, auf dem anderen aber „Zum Tode“. Sie warfen das Los. Michail-Wassersohn erloste „Zum Reichtum“, Iwan-Wassersohn aber erloste „Zum Tode“.
Da einigten sie sich wie folgt: Die Meute teilten sie in zwei gleiche Hälften, und jeder bekam ein Gewehr. Sie selbst aber hatten das gleiche Ge-sicht, man konnte sie nicht unterscheiden.
„Jetzt werde ich jene Straße ziehen, Bruder, und du diese. Wenn du tot bist“, sagt Michail-Wassersohn zu Iwan, „so wird mein Gewehr schwarz werden. Dann werde ich dich suchen.“
Und wenn Iwans Gewehr schwarz wird, dann ist Michail nicht mehr am Leben.
Sie nahmen Abschied voneinander und zogen auf verschiedenen Wegen davon: dieser mit seiner Meute, nämlich Michail-Wassersohn, Iwan-Wassersohn aber mit der seinen.
Iwan lief und lief und kam, siehst du wohl, zu einem Feld. Auf dem Felde aber steht ein Wirtshaus. Der Wirt sagt:
„Wozu bist du hierhergekommen? Hier“, sagt er, „hat der Drache Gorynytsch1 schon alle aufgefressen.“
„Was ist das für ein Kerl?“
„Heute“, sagt der Wirt, „haben sie die Zarentochter für ihn hergebracht.“
Sie hatten dort aber einen Turm errichtet, in den brachten sie die Menschen, die der Drache dann fraß.
Iwan-Wassersohn sagt:
„Um welche Stunde kommt er denn geflogen?“
„Um zwölf.“
Iwan trank einen Schnaps.
„Weißt du“, sagt er dann, „ich will gehen und mir ihn ansehen.“
Nahm sein Gewehr und ging an die Stelle. Wie er hinkommt, ist dort die Zarentochter und trägt schon den Totenschmuck.
„Ach, wackerer Held, was willst du hier? Der Drache Gorynytsch wird geflogen kommen, wird mich fressen und auch dich nicht verschonen!“
„Was ist das für ein Kerl? Er wird daran erstikken! Komm herunter, wir wollen uns ein wenig unterhalten.“
An die fünf Minuten hatten sie miteinander ge-sprochen, da sehen sie, wie der Drache Gorynytsch geflogen kommt. Nicht weit von dieser Stelle war eine Brücke. Iwan-Wassersohn stellte sich mit seinem Gewehr unter die Brücke und wartet.
Der Drache Gorynytsch kommt herbeigeflogen:
„Ich rieche Menschenfleisch!“
Iwan-Wassersohn antwortet:
„Was für Menschenfleisch riechst du?“
Darauf der Drache Gorynytsch – er hatte aber drei Köpfe –:
„Wie steht’s, wollen wir miteinander kämpfen oder Frieden halten?“
Iwan antwortet:
„Nicht dazu bin ich gekommen, Frieden zu halten, sondern um zu kämpfen!“
Damit schwang er den Säbel und schlug ihm mit einem Male zwei Köpfe ab, schwang ihn ein zweites Mal und trennte ihm den letzten Kopf ab, und wie er den Säbel das dritte Mal geschwungen hatte, war der Drache völlig erledigt. Er hackte ihn in kleine Stücke, hob einen gewaltigen Stein in die Höhe und legte die Drachenknochen darunter. Dann geht er zur Zarentochter, nimmt sie bei der Hand und führt sie davon. An jener Stelle, auf der Brücke, nahm er Abschied von ihr. Sie aber gab ihm als Andenken ihr Taschentuch.
Wo immer Tschugunkin der Zigeuner auch sein mochte, immer war er mit einem Fäßchen nach Wasser unterwegs. Er drehte das Fäßchen um:
„Steig auf, Zarentochter, ich fahr dich heim!“
Und freut sich über den glücklichen Zufall. Während sie fuhren, fragt er sie aus: „Wie bist du denn am Leben geblieben?“
„Ein wackerer Held ist gekommen, der hat mich freigekämpft.“
Er droht ihr:
„Sag, ich hätte dich freigekämpft sonst bringe ich dich auf der Stelle um!“
Die Zarentochter fürchtete den Tod und schwur einen Eid, sie wolle es so sagen.
Mutter und Vater sahen ihr Kind, ihre Tochter, gefahren kommen:
„Ach, liebes Kind, wie bist du am Leben geblie-ben?“
Tschugunkin der Zigeuner sagt:
„Ich habe sie freigekämpft.“
Da werden ihm Achtung und hohe Ehren zuteil.
Wie der Abend kommt, muß Katja, die zweite Schwester, dorthin fahren. Ach, wie weint sie da:
„Meine ältere Schwester ist am Leben geblieben, ich aber muß sterben, muß mich fressen las-sen!“
Sie wurde genauso geschmückt und am gleichen Platz abgesetzt.
Da kommt Iwan-Wassersohn:
„Sei gegrüßt, schöne Jekaterina!“
„Sei gegrüßt, sei gegrüßt, wackerer Held. Weswegen hat Gott dich hierher verschlagen?“
„Gerade deinetwegen.“
„Hast du denn von mir gehört?“
„Ja“, sagt er, „ich will dich freikämpfen.“
„Ach, wenn Gott das doch gewähren wollte“, sagt Katja, „ich würde deine Braut.“
„Nun, soweit ist es noch nicht“, sagt Iwan-Wassersohn.
Kaum haben sie zu Ende gesprochen, da kommt der zweite Drache Gorynytsch geflogen. Der hatte sechs Köpfe. Iwan begab sich wieder unter die Brücke.
Der Drache kommt an die Brücke:
„Ich rieche Menschenfleisch!“
„Was für Menschenfleisch riechst du?“
„Kämpfen wir, oder halten wir Frieden?“
„Nicht dazu bin ich gekommen, Frieden zu hal-ten, sondern um zu kämpfen!“
Er holte zum ersten Mal aus – da flogen gleich drei Köpfe herunter, holte ein zweites Mal aus – und wieder flogen drei herunter. Beim dritten Mal hatte er ihn ganz und gar zusammengehauen, hob den gewaltigen Stein in die Höhe und legte die Knochen darunter. Darauf geht er zu Katja und sagt:
„Komm mit mir“, sagt er.
Und nahm sie bei der Hand. Sie dankte Iwan-Wassersohn und schenkte ihm ihren Siegelring. Iwan begab sich wieder zum Wirtshaus, trank ein Schnäpschen und legte sich schlafen.
Katja macht sich auf den Weg, und wieder kommt Tschugunkin der Zigeuner gefahren, um Wasser zu holen. Wie beim ersten Mal kehrt er das Fäßchen um und setzt Katja, die zweite Zarentochter, auf den Wagen.
„Wie bist du denn am Leben geblieben?“
Sie erzählte ihm: so und so ist es gewesen.
Er drohte auch ihr:
„Sag, ich hätte dich freigekämpft, sonst bringe ich dich um!“
Nun, auch Katja will nicht gern sterben, und sie schwur einen Eid:
„Ich will sagen, daß du mich freigekämpft hast.“
Vater und Mutter freuten sich, gaben dem Zi-geuner zu essen und zu trinken und erweisen ihm alle Ehren.
In der dritten Nacht bringen sie die letzte Tochter an den gleichen Platz.
Iwan-Wassersohn macht sich bereit, gleichfalls hinzugehen, und trägt dem Wirt auf:
„Stell ein Glas mit Wasser vor dich. Wenn es zu sieden anfängt, laß meine Meute los.“
Iwan kam an die Stelle:
„Sei gegrüßt, schöne Jungfrau!“
„Meinen Gruß, wackerer Held! Weswegen hat Gott dich hierher verschlagen?“
„Gerade deinetwegen, ich will dich freikämpfen.“
Darauf sie:
„Wollte Gott es gewähren, ich würde deine Braut.“
„Komm herunter, wir wollen miteinander reden.“
Sie kam vom Turm herunter. Er band einen drei Pud schweren Stein über sich fest, und sie setzten sich beide unter diesen Stein.
„Paß auf mich auf“, sagt Iwan. „Wenn ich einschlafe, mußt du mich aufwecken. Kommt nun der Drache geflogen“, sagt er, „und du kriegst mich nicht munter, dann laß den Stein auf mich herunterfallen.“
Der Drache kam geflogen. Sie rief und rief, konnte Iwan jedoch auf keine Weise munter kriegen. Aber sie mochte den Stein nicht herunterfallen lassen, ihn nicht losbinden, denn sie fürchtete, es würde sein Tod sein. Da begann sie bitterlich zu weinen. Eine Träne aber tropfte herab und fiel auf seine Wange. Iwan-Wassersohn sprang in die Höhe – so heiß war ihre Träne gewesen.
„Ach“, sagt er, „wie hast du mich verbrannt! Aber das macht nichts!“
Winkte ihr zu und rannte unter die Brücke.
Diesmal kam ein Drache mit zwölf Köpfen ge-flogen:
„Ich rieche Menschenfleisch!“
Iwan-Wassersohn antwortet:
„Was für Menschenfleisch riechst du? Ich bin’s, Iwan-Wassersohn!“
„Schon gut, schon gut“, sagt der Drache, „habe schon gehört vom Hundesohn Iwan. Dem will ich’s im Kampf schon zeigen!“
Jener holte aus, nämlich Iwan-Wassersohn, da lagen sechs Köpfe unten. Der Drache holte mit dem Schwanz aus – die sechs Köpfe waren wieder nachgewachsen. Er holte ein zweites Mal aus, und wieder flogen sechs Köpfe herunter. Der Drache holte ein zweites Mal mit dem Schwanz aus und hatte wieder sechs neue Köpfe. Zum dritten Mal holte Iwan-Wassersohn aus, schlug sechs Köpfe herunter und zerschlug dabei seinen Säbel. Der Drache bekommt Iwans Hand mit den Zähnen zu packen.
Jener Wirt aber hatte gesessen und gesessen und war dabei eingeschlafen. Das Glas siedete und siedete, platzte und traf ihn an der Backe.
„Oh weh“, sagt er, „ich hab’s verschlafen!“
Iwans Meute aber war hinter zwölf Türen einge-sperrt gewesen. Sechs Türen hatte die Meute schon durchgebissen, schlug mit den Füßen, knirschte mit den Zähnen und heulte. Der Wirt ließ die Meute los. Da stürzten sie sich auf den Drachen, rissen ihn in Stücke und befreiten Iwan-Wassersohn aus seiner Not. Seine Hand war ein wenig zerbissen.
„Das macht nichts“, sagte er, „das heilt wieder!“
Er sammelte die Knochen des Drachen zusammen und legte auch sie unter den gewaltigen Stein zu den Knochen seiner Brüder.
Die Zarentochter Maria nahm ein Tuch von ihrem Kleid, verband ihm die Hand und gab ihm ihren Fingerring. Er ging nach Hause, trank einen Schnaps und legte sich schlafen. Dem Wirt aber trug er auf, niemandem Schnaps zu geben.
Genau wie gestern kommt Tschugunkin der Zigeuner gefahren. Er erblickte Maria, die Zarentochter, stürzt das Fäßchen um und setzt sie auf seinen Wagen.
„Nun, wie bist du am Leben geblieben?“
„Ein wackerer Held hat mich freigekämpft“, sagt sie.
„Sag, ich war’s, sonst ist es dein Tod!“
Sie erschrak, die Zarentochter Maria, und schwur:
„Ich will sagen, du warst’s!“
Maria aber war die beste, die schönste unter den Zarentöchtern.
Er sagt:
„Ich werde dich heiraten!“
„Wenn du’s willst, werde ich deine Frau!“
Er brachte sie also heim, und Vater und Mutter sind froh: die dritte Tochter hatte er freigekämpft. Man erweist ihm Achtung und hohe Ehren. Der Zigeuner aber frohlockt und trägt die Nase hoch, daß man ihm Ehren erweist. Er schickt sich an, die Zarentochter Maria zu heiraten, Vater und Mutter sind einverstanden und geben sie ihm hin. Und, was denkst du, am Abend soll Hochzeit sein, soll der Zigeuner mit Maria, der Zarentochter, vermählt werden! Alle sind schon versammelt, da schickt man nach Schnaps ins Wirtshaus. Der Wirt aber gibt keinen Schnaps heraus. Der Zar sagt:
„Was heißt das, gibt keinen Schnaps heraus?“
Und schickt seinen Diener:
„Sag, der Zar hat’s befohlen!“
Der Wirt aber sagt:
„Ich habe meinen eigenen Zaren!“
Der Diener kommt zurück und berichtet’s. Da wurde der Zar böse:
„Was ist das denn für ein Zar?“
Nimmt seinen Säbel und will selbst fahren.
Die Töchter aber witterten schon, was hier vorging.
„Väterchen, wir möchten mitfahren!“
„Gut, fahren wir!“
Wie sie dort sind, fragt er:
„Wo ist dieser Zar?“
„Hier liegt er und schläft.“
Iwan-Wassersohn aber schlief einen gewaltigen Schlaf. Die Mädchen traten heran und erkannten ihn.
Der Zar bemerkte an Iwans Hand das Tuch sei-ner Tochter Maria.
Und plötzlich tritt die erste hinzu und holt ein Tüchlein aus seiner Tasche:
„Das ist mein Tüchlein, Väterchen“, sagt sie, „mit meinem Namen.“
Die zweite aber sagt:
„Ach, Väterchen, sieh nur, mein Siegelring steckt an seinem Finger.“
Die dritte sagt:
„Und dies ist mein goldener Fingerring.“
Und sie können ihn nicht munter bekommen. Da ließen sie eine Kanone herbringen und begannen, aus der Kanone zu schießen, um ihn zu wekken.
Iwan-Wassersohn erwachte und sah die Menge Volks.
„Was ist“, sagt er, „warum stehen die vielen Leute hier?“
„Die Leute wollen Schnaps für eine Hochzeit haben.“
„Wer wird verheiratet?“
„Tschugunkin der Zigeuner!“
„Und weswegen, wieso?“
Der Zar begann, seine Worte zu erläutern: Tschugunkin habe seine Kinder freigekämpft. Iwan-Wassersohn will von ihm erfahren, wie er sie freigekämpft hat. Sie fuhren an die Stelle, wo er mit den Drachen gekämpft hatte. Tschugunkin der Zigeuner zeigt:
„Hier“, sagt er, „habe ich sie niedergehauen und dann unter diesen Stein gelegt.“
„Nun“, sagt Iwan Wassersohn, „heb mal hoch und laß uns die Knochen sehen!“
Der Zigeuner wand und drehte sich, aber von Heben ist keine Rede, nicht einmal ansehen kann er den Stein.
Der Zar merkt, daß der Zigeuner im Unrecht ist und lügt.
Iwan-Wassersohn hebt den Stein in die Höhe, und der Zar sieht, wieviele Drachenköpfe und Drachenknochen dort liegen. Vor Entsetzen wurde er ganz bleich. Iwan packte den Zigeuner bei den Haaren, legte ihn dorthin zum Drachen und wälzte den Stein wieder darüber.
Da glaubte der Zar dem Iwan-Wassersohn, daß alles sein Werk war, daß er alle drei freigekämpft hatte. Von nun an fürchteten sie den Zigeuner nicht mehr, sondern waren lieb und zärtlich zu Iwan-Wassersohn.
Iwan-Wassersohn sagt:
„Ich will Eure Tochter Maria zur Frau nehmen!“
Vater und Mutter segneten ihre Tochter und brachten sie zur Vermählung. Da wurden sie Mann und Frau.
So lebten sie nicht gar zu kurze, aber auch nicht gar zu lange Zeit. Einmal ging Iwan-Wassersohn mit seinen Tieren auf die Jagd. Lange lief er im Walde umher, da fing er einen goldenen Hasen. Er ließ ihn aber wieder laufen. Und weiter liefen sie im Wald umher, bis es Abend wurde. Sie wurden von der Dunkelheit überrascht und muß-ten die Nacht im Walde zubringen, Iwan-Wassersohn und seine Meute. Sie entfachten ein Feuer, er wärmte sich und brät sich dann Schin-ken zum Abendessen. Die Meute aber sitzt um ihn herum. Da kommt, was meinst du, ein steinaltes Weib:
„Wackerer Held, bind deine Meute an, ich fürchte mich sonst! Laß mich ein wenig ans Feuer!“
„Komm, Mütterchen, meine Meute wird dich nicht anrühren!“
„Nein, ich fürchte mich; nimm dieses Gürtel-chen und binde die Meute fest, damit sie sich nicht vom Flecke rühren und mich nicht beißen kann.“
Er lieg sich verleiten, nahm den Gürtel und band die Meute. Da wurden alle seine Tiere zu Stein. Die alte Hexe aber war des Drachen Gory-nytsch Mutter. Sie warf sich auf ihn, biß ihn zu Tode, schnitt ihn in Stücke, salzte die Stücke ein, warf sie in einen Korb und vergrub den Korb im Walde.
Wie der Bruder Iwans, Michail-Wassersohn, sein Gewehr ansieht, ist es ganz schwarz geworden. Da weinte er bitterlich und begann, den Bruder zu suchen. Er kommt in jenes Reich und zu jenem Wirt:
„Guten Tag!“
„Guten Tag!“
Der Wirt nennt ihn Iwan-Wassersohn, verkann-te ihn also: „Warum hast du dich denn so lange nicht sehen lassen? Kaum geheiratet, und gleich hochmütig geworden l“
Michail merkte, daß der Wirt ihn verkannte. Und es war unmöglich, sie zu unterscheiden, sie hatten ein und dasselbe Gesicht, auch ihre Meute war ein und dieselbe, alle Tiere und Vögel. Er kommt zum Schwiegervater Iwans und zu seinem Weib. Die freute sich, denn sie hatte ihn lange nicht gesehen. Er wurde freundlich aufgenommen und bewirtet, blieb aber unfroh. Sie nennt ihn Iwan-Wassersohn, umarmt und küßt ihn. Aber nein, es ist nicht das richtige, immer seufzt er. Er spricht zwar viel, aber doch ohne den richtigen Eifer (liebkost sie nicht, wie ein Gemahl liebkost). Und gibt sich nicht zu erkennen, will sie nicht damit erschrecken, daß ihr Mann nicht mehr lebt; er erschreckt sie nicht.
Dann legen sie sich schlafen. Er zieht weder die Kleider noch die Schuhe aus. Sie ruft ihn: „Wanja, Wanja“, aber er dreht sich mit dem Gesicht zur Wand, der Michail-Wassersohn, seufzt und weint bitterlich. Sie fragt ihn:
„Hat dich vielleicht jemand gekränkt, hat dich vielleicht jemand bestohlen, oder hast du ein Tier aus deiner Meute verloren?“
Er schweigt weiter, weint nur und weint. Am Morgen erhebt er sich, ißt – sie brachten ihm zu essen und zu trinken – und geht auf die Jagd.
Er lief lange, den gleichen Weg. Den gleichen goldenen Hasen fing er, und der führte ihn fast an die gleiche Stelle, wo damals sein Bruder lag. Er wurde von der Dunkelheit überrascht und mußte mit seiner Meute im Wald übernachten. Er fachte ein Feuer an, holte Schinken aus seiner Jagdta-sche, brät sich ein Abendbrot, sitzt und wärmt sich zusammen mit seiner Meute. Und, was denkst du, auf einmal kommt die Alte zu ihm:
„Sei gegrüßt, wackerer Held!“
„Gruß, Gruß“, erwidert Michail-Wassersohn un-lustig.
„Kann ich mich bei dir ein wenig wärmen?“
„Das kannst du.“
„Nimm doch dieses Gürtelchen und binde deine Meute an, ich habe Angst.“
„Komm nur, komm, hab keine Angst, meine Meute rührt dich nicht an“, gibt Michail ihr grob zur Antwort.
„Nein, guter Mann, nimm das Gürtelchen und binde sie fest.“
Er nahm das Gürtelchen und warf’s ins Feuer. Das Weib wollte sich schon auf Michail-Wassersohn stürzen, da packte der Löwe sie um die Mitte und der Bär lief hinzu, sie zu halten.
„Oh, Michail-Wassersohn, laßt mich los!“
„Sag, wo ist mein Bruder?“
„Ich will’s sagen und dich führen!“
„Dann führe mich!“
Von jener Stelle aus liefen sie zehn Saschen und fanden des Bruders ganze versteinerte Meute.
„Sprich, du Satan, womit kann man sie wieder zum Leben erwecken, diese Meute?“
„Nimm dieses Fläschchen und besprenge sie.“
Er nahm das Fläschchen und besprengte die Meute, da schüttelten sich die Tiere und sprangen auf: der Löwe schlägt mit den Pranken und brüllt, und mit ihm brüllt die ganze Meute – ihr Herr ist nicht da.
„Sprich, alter Satan, wo ist mein Bruder?“
„Au, laßt mich los, ich will zeigen, wo er vergraben liegt!“
„Nein, ich lasse dich nicht los, doch führe uns!“
Sie führte sie hin, der Bruder wurde ausgegraben und sah aus wie lebendig. Sie legten die Stücke aneinander, und die Tiere beleckten ihn mit ihren Zungen. Alle Narben und alle Wunden leckten sie zu, als wären sie genäht.
„Sag, du Teufel, wie kann man ihn wieder zum Leben erwecken?“, fragte Michail-Wassersohn.
In diesem Augenblick kam eine andere Zaube-rin vorbeigeflogen – eine Elster.
„Fangt diese Elster da!“
Der Falke warf sich mit einem Male steil in die Luft, packte die Elster, zerriß sie über Iwan-Wassersohn und besprengte ihn mit ihrem Blut.
Iwan-Wassersohn stand auf und sagt: „Ach, Bruder, hab ich lange geschlafen!“
„Ja“, sagt der Bruder, „lange hättest du ge-schlafen, lange!“
Die Alte aber erschlug er, riß sie in Stücke und vergrub sie an eben dieser Stelle.
Dann machen sich die beiden Brüder auf den Weg. Iwan rühmt sich vor Michail:
„Bruder, ich habe geheiratet!“
Michail sagt:
„Ich bin bei euch gewesen, habe dein Weib ge-sehen, bei ihr geschlafen!“
Das ertrug Iwan-Wassersohn nicht, die Eifersucht packte ihn, und er schlug dem Bruder den Kopf ab. Die Meute umringte Michail-Wassersohn und heult, Iwan-Wassersohn aber geht zum Schloß. Er kommt nach Hause zu seinem jungen Weib. Doch sein Weib, von Michail gekränkt, empfängt ihn ohne Freude. Sie aßen zu abend, er ver-sorgte seine Meute – und dann schnell zu seinem jungen Weib. So lange hatte er sie nicht gesehen, er freute sich auf sie, begann sie zu umarmen, zu küssen und zu liebkosen. Aber sie war beleidigt und blickt ihn finster an. Sie legten sich schlafen, und er fragt sie:
„Warum bist du so böse auf mich?“
Sie antwortete ihm:
„Wie habe ich dich liebkost in der vorigen Nacht! Du aber hast dich von mir abgewendet und kein Wort mit mir gesprochen. Ehrlich bekümmert habe ich dich gefragt, wer dich gekränkt hat, was man dir gestohlen hat oder ob du ein Tier aus deiner Meute verloren hast; aber du hast den ganzen Abend nur immer gejammert. Hast geweint und geweint und mir nicht geantwortet!“
Da wurde Iwan-Wassersohn sehr betrübt, und wie sein Bruder Michail verbrachte er die Nacht in Kummer.
Am Morgen erhebt er sich und zieht mit seiner Meute wieder dorthin, wo der Bruder liegt. Da fliegt, was denkst du wohl, ein Rabe über dem toten Bruder.
Er schickte den Falken, den Raben zu fangen. Der Rabe sagt zum Falken:
„Laß mich leben, ich will dir dienen!“
„Dann hilf mir in meiner Not!“
„Gewiß, ich will dir helfen!“
Er flog in den Wald, fand einen Gallapfel und brachte ihn Iwan-Wassersohn. Iwan drückte Michails Kopf an den Rumpf und preßte den Apfel aus. Von diesem Saft wurde Michail-Wassersohn wieder lebendig.
Beide machten sich auf den Weg zum Schloß. Wie sie zu Hause ankommen, errät die Frau nicht, welcher ihr Mann ist und zu welchem sie gehen soll: ihre Sprache ist die gleiche, ihr Gesicht das gleiche. Dann erriet sie es: An seinem kleinen Finger steckte ihr Siegelring. Bald waren beide verheiratet, Michail heiratete die älteste Schwester, die Iwan zuerst freigekämpft hatte. Und der Zar gab jedem der beiden Brüder ein Reich und einen Teil seiner Schätze. Und als sie das alles erhielten und heirateten, war auch ich zum Gratu-lieren, wollt’ das Honigbier probieren, blieb alles an den Lippen hangen, der Mund ist leer ausgegangen.
Und es geht ihnen gut, sie schicken mir Briefe, nur kommen sie nie an.

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