So, lieber Herr, jetzt werde ich dir dieses Märchen erzählen, aber ohne Vorgeschichte, denn ich habe wenig Zeit.
Es lebten einmal ein Vater und eine Mutter, die hatten zwei Söhne und eine Tochter. Die Söhne waren sehr fleißige Burschen. Wenn sie alle Arbeit in ihrer Wirtschaft gemacht hatten, arbeiteten sie noch in einem anderen Zarenreich.
Einmal gingen sie für drei Tage fort und sagten zu den Eltern: „Wenn wir in drei Tagen nicht da sind, dann soll uns Pelageja (ihre Schwester) das Essen bringen, und damit sie weiß, wo wir uns aufhalten, werden wir Stroh auf den Weg streuen.“ Nun gut, sie gingen. Sie gingen und gingen, streuten Stroh und sagten zueinander: „Hier wird unsere Pelageja entlangkommen. So wird sie den Weg finden.“
Nicht weit von hier wohnte ein Drache mit eiserner Zunge, ein furchtbarer Drache. Er fing alle jungen Frauen und Mädchen und zerrte sie zu sich in seinen knöchernen Palast. Von dort kam niemand zurück.
Der Drache hörte die Brüder sagen, wozu sie das Stroh auf den Weg streuten. Da sammelte er das ganze Stroh auf, streute es auf den Weg, der zu seinem Palast führte, und wartete auf Pelageja.
Er dachte sich: Wenn sie zu den Brüdern geht, kommt sie dem Stroh nach direkt zu mir. So ge-schah es auch. Es verging ein Tag, die Brüder wa-ren noch nicht da, es verging ein zweiter, ein dritter, und sie waren noch nicht da. Da packten die Eltern Essen ein und sagten zur Tochter: „Du, Töchterchen, geh schnell zu den Brüdern mit die-ser Speise. Geh den Weg, auf den sie Stroh gestreut haben!“
Da ging Pelageja los. Sie war schon sehr hübsch. Alle Burschen liefen ihr nach, sogar der Gutsbesitzer gab ihren Eltern keine Ruhe. Er sagte immer: „Komm zu mir, es wird dir sehr gut gehen.“ Sie aber wollte nicht. Sie ging und ging, und dann sah sie den knöchernen Palast des Drachen. Schnell wollte sie zurücklaufen, da hörte sie es brausen und brausen, sie drehte sich um und sah den Drachen. Er ergriff sie, brachte sie in den Pa-last und sagte: „Ich wollte schon lange zu dir, nun habe ich dich gefaßt! Jetzt wirst du mit mir leben wie meine Frau.“
Sie begann zu weinen, aber was half das? Soviel wie einem Toten der Weihrauch…
Pelagejas Brüder fanden gute Arbeit bei einem Gutsherrn. Sie begannen zu arbeiten, aber am vierten Tag hatten sie kein Brot mehr. Da verlie-ßen sie die Arbeit, gingen nach Hause und verfluchten Pelageja und die Eltern, weil sie ihnen nichts zu essen geschickt hatten.
So kamen sie nach Hause. Bei der Hütte fingen sie ein Geschrei an und machten mächtigen Lärm wegen des Brotes. Die armen Eltern aber sperrten Mund und Nase auf und wunderten sich. Sie hatten doch Pelageja zu den Söhnen geschickt, und die Söhne hatten sie nicht zu sehen bekommen? Sie sagten den Söhnen, daß sie Pelageja mit Brot geschickt hätten, erst gestern. Alle waren ver-wundert und standen kreidebleich da. Vielleicht hätten sie noch lange so gestanden, wenn nicht der älteste Sohn gesagt hätte: „Ich gehe Pelageja suchen.“
Wie er es gesagt hatte, so tat er auch. Er ging fort. Er ging, ging den Weg entlang, der mit Stroh bestreut war, und bemerkte nicht, daß das nicht der gleiche Weg war, den sie gegangen waren. So kam er zu dem knöchernen Palast, wo er Pelageja traf. Sie sagte zu ihm: „So und so, ich Unglückli-che bin hineingeraten, lauf fort, Bruder, schnell, denn der Drache frißt dich auf!“ Er aber sagte: „Wenn wir schon fortlaufen, dann gemeinsam.“ Sie entgegnete: „Nein, Bruder, er hört meinen Atem und holt mich ein. Du aber lauf fort!“ Sie hatte das gerade gesagt, als es toste, und zwar so stark, daß sie taub wurden. Sie schauten auf, und da war der Drache schon da.
Pelageja sagte zu ihm: „Mein Bruder ist zu uns gekommen.“ „Gut“, sagte der Drache, „bring ihn zu mir!“ Er ging. Als sie ins Haus kamen, sagte der Drache: „Frau, gib uns eiserne Bohnen zu ko-sten!“ Sie brachte sie. Als der Drache zu essen begann, kamen Funken aus seinem Mund. Der unglückliche Bruder nahm eine Bohne und hätte sich fast die Zähne ausgebrochen. Da spuckte er die Bohne aus. Als der Drache das sah, fiel er über den armen Burschen her und brüllte: „War-um ißt du nicht, sondern spuckst die Bohne aus? Willst du sie etwa nicht, weil sie mein ist?“ So schrie der Drache und schrie und sagte schließ-lich: „Komm, wir gehen und sehen uns meine Reichtümer an!“ Sie gingen, und der Drache hängte ihn am Hoftor auf. Er kam zurück und sag-te: „Liebe Frau, ich habe deinen Bruder aufge-hängt, denn er wollte die Bohne nicht essen.“ Sie aber, die Arme, weinte kleine Tränen… Aber was sollte sie tun? Sie weinte, weinte und hörte wieder auf.
Als sie am nächsten Tag auf dem Weg spazierenging, sah sie ihren anderen Bruder kommen. Auch dieser Unglückselige wurde neben dem Bruder aufgehängt, weil er die Bohne nicht gegessen hatte.
Die Eltern warteten auf ihre Söhne einen Tag, einen zweiten Tag, ungefähr sechs Tage, und sie waren immer noch nicht da.
Einmal ging die Alte vor dem Weihnachtsfest Wasser holen. Da sah sie eine Erbse den Weg ent-langrollen. Sie hob sie auf, betrachtete sie und aß sie auf. Nach einigen Tagen fühlte sie, daß sie schwanger war, und nach einer oder zwei oder drei Wochen gebar sie einen schönen und gewal-tig großen Burschen. Der war kaum geboren, da schrie er schon: „Mutter, gib mir zu essen!“ Und seine Stimme war so tief, daß alle erschraken und nicht wußten, was für ein Wunder das war.
Dieser Bursche wuchs nicht in Tagen, sondern in Stunden und war nach einem Monat riesengroß und hatte solch einen Bart, daß sogar der Vater sich vor ihm fürchtete. Sie überlegten und überlegten, wie sie ihn nennen sollten, was sie ihm für einen Namen geben sollten. Da nannten sie ihn Erbse.
Eines Tages sagte Erbse zu den Eltern: „Hier, Eltern, habt ihr eine Anstecknadel, geht zum Schmied und sagt, daß er eine Keule von sieben Pud daraus schmieden soll!“ Der Vater dachte bei sich: „Das ist ein Dummkopf. Aus einer Nadel, mit der sich die Frauen Blumen oder Bänder anstek-ken, will er eine sieben Pud schwere Keule ha-ben?“ Er schüttelte den Kopf, fuhr aber in die Stadt und kaufte sieben Pud Eisen und befahl ei-nem Schmied, dem Sohn eine Keule zu schmie-den. Der Schmied schmiedete und schmiedete mit seiner ganzen Kraft. Der Vater freute sich. Er kam nach Hause und warf dem Sohn die Keule vom Wagen, daß es nur so seine Art hatte.
Erbse nahm die Keule mit einer Hand auf und schleuderte sie in die Höhe. Sie flog zum Himmel hinauf. Dann ging er essen. Er aß und sprach mit den Eltern: „Jetzt wollen wir auf den Acker gehen, Väterchen, die Keule kommt gleich zurück.“ Der Vater zitterte, aber er ging mit.
Sie kamen auf den Acker, und der Sohn sagte: „Siehst du das Schwarze da am Himmel, Väter-chen? Da fliegt meine Keule.“
Der Vater konnte gerade noch hinsehen, als die Keule auch schon um sie herumsauste. Erbse hielt das Knie hin, die Keule schlug dagegen und zer-brach in Stücke. „Ach Vater, was hast du mir für eine Keule machen lassen? Sie ist wohl nicht aus der Nadel gemacht, die ich dir gegeben habe?“ sagte Erbse.
Der Vater erschrak so, daß er mit den Zähnen klapperte und sich dabei ein Stück Zunge abbiß. Aber nachdem er sich ein wenig erholt hatte, fuhr er gleich in die Stadt und kaufte in einem Laden zehn Pud englisches Eisen, und derselbe Schmied schmiedete aus diesem Eisen eine neue Keule. Der Vater nahm die Keule und brachte sie dem Sohn. Er probierte sie aus wie die erste, aber die-se Keule war fest, sie verbog sich nur ein wenig. Erbse wurde wieder fröhlich, nahm die Keule, schleuderte sie, daß sie nur so lossauste und sag-te: „Nun, Vater, ich gehe jetzt die Schwester su-chen.“ Der Vater dachte: Da mag dir Gott helfen!
Ohne lange zu überlegen, nahm Erbse seine Keule und ging direkt zum Drachen. Der Drache, der seine große Kraft fühlte, trat heraus und kam ihm auf dem Wege entgegen.
Sie schauten einander an, und jeder erschrak vor dem anderen. Pelageja stand in der Nähe. Erbse sah sie und erriet, daß das seine Schwester sein mußte. Aber er sagte nichts. Nachdem sie ein Weilchen so gestanden hatten, sagte der Drache: „Komm Bruder, essen wir ein paar Bohnen!“
So gingen sie und setzten sich auf eiserne Tische. Als sich Erbse hinsetzte, fiel der Tisch auseinander. Der Drache wunderte sich und gab ihm einen anderen Tisch, auch einen eisernen, aber einen stärkeren. Erbse setzte sich, und auch dieser Tisch verbog sich ein wenig. Dann begannen sie eiserne Bohnen zu essen. Sie aßen und aßen, bis sie alles aufgegessen hatten.
Der Drache wurde ganz rot, ganz übel wurde ihm, weil sich ein Mensch gefunden hatte, der ihm überlegen war. Er wand sich und wand sich, dann sagte er zu Erbse: „Komm Bruder, laß uns meine Reichtümer ansehen!“
„Gut!“ So gingen sie. Sie kamen in die Scheu-ne, von dort aus waren die Tore zu sehen, und an diesen Toren hingen zwei Tote. Da fragte Erbse: „Wer ist das?“ „Das sind die Brüder meiner Frau.“ Erbse schüttelte es, und er dachte bei sich: Da hast du es! Du bist zu spät gekommen. Aber er sagte: „Ach, du nichtsnutziger Drache! Du hast also meine Brüder aufgehängt!“ Er packte den Drachen an der Brust und stieß ihn in die Erde, so daß er bis zum Gürtel einsank. Dann ergriff er seine Keule und schlug ihn so auf den Rücken, daß das Blut floß, und als er noch einmal zuge-schlagen hatte, war der Drache schon tot.
Nun ging Erbse zur Schwester und sagte: „Ich bin dein Bruder, und du bist meine Schwester. Deinen Drachen habe ich schon erschlagen.“ Sie aber glaubte ihm nicht. „Wie kannst du mein Bru-der sein?“ sagte sie. „Ich habe keine Brüder außer denen, die am Tor hängen.“ Und sie begann zu weinen. Erbse erinnerte sich der Brüder. Er ging und hob sie von dem Tor herunter. Dann erschlug er einen Stier, zog ihm das Fell ab, kletterte in dieses Fell und blieb so liegen. Da kamen auf einmal schwarze Raben und hackten in das Fell, und er unter dem Fell ergriff einen Raben. Der arme bettelte und bat, ihn wieder fortzulassen. Er wolle machen, was er wolle, nur solle er ihn fort-lassen.
„Ja“, sagte Erbse, „bring mir Lebenswasser!“ Und als der Rabe es versprochen hatte, ließ er ihn wieder los.
Erbse hatte sich kaum umgesehen, als der Rabe auch schon wiederkam. Im Schnabel brachte er ein Gefäß mit Lebenswasser. Erbse nahm dieses Wasser und benetzte den Brüdern die Augen da-mit. Da wurden sie lebendig und fragten: „Wer bist du, wem können wir danken?“ Erbse aber sagte: „Ich bin euer Bruder, und zu danken braucht ihr mir nicht.“ Sie glaubten ihm aber nicht und dachten: Wie kann er unser Bruder sein? Wo kommt er her? Aber trotzdem dankten sie ihm und machten sich auf den Weg. Sie nahmen Pela-geja und liefen nach Hause. Als sie zu Hause an-gekommen waren, erzählten sie den Eltern, was mit ihnen geschehen war und daß sich der Mensch dort ihr Bruder nenne. Die Eltern hörten sie an, beteten und sagten, daß es stimme. „Dieses wun-derbare Wesen ist bei uns zur Welt gekommen, aber wo ist er jetzt?“
Erbse aber war in den Pferdestall des Drachen gegangen, hatte sich ein gutes Pferd und zwei Windhunde, die immer bellen, ausgewählt und war in die Welt geritten. Aber wo er jetzt ist, wer weiß das? Vielleicht reitet er jetzt gerade irgend-wo. Die Eltern und die Kinder leben noch wie früher miteinander, nur die Burschen freien nicht mehr um Pelageja.
Erbse und der Drache
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