Die wilden Schwäne

Es lebten einmal ein alter Mann und eine alte Frau; die hatten ein Töchterchen und ein kleines Söhnchen. „Töchterchen, Töchterchen!“ sagte die Mutter, „wir gehen auf Arbeit, bringen dir eine Semmel mit, nähen dir ein Kleid, kaufen dir ein Tüchlein; sei klug, paß aufs Brüderchen auf, und geh nicht vom Hof!“ Die Eltern gingen, das Töch-terchen aber vergaß, was ihr befohlen worden war: sie setzte das Brüderchen aufs Gras unter dem Fenster und lief hinaus auf die Straße, spielte und tummelte sich. Da kamen wilde Schwäne ge-flogen, ergriffen den Kleinen und trugen ihn auf ihren Flügeln davon.
Das Mädchen kam, – da war das Brüderchen nicht da! Sie erschrak, stürzte hierhin und dorthin – nichts! Sie rief, zerfloß in Tränen, jammerte, es würde etwas setzen von Vater und Mutter, – das Brüderchen gab keine Antwort! Sie lief hinaus aufs freie Feld; in der Ferne flogen wilde Schwäne und verschwanden hinter dem dunklen Wald. Die wilden Schwäne hatten sich schon lange einen üblen Ruf erworben, hatten viel Unheil angerichtet und kleine Kinder gestohlen; das Mädchen erriet, daß sie ihr Brüderchen entführt hatten, und stürzte ihnen nach. Sie lief und lief, da steht ein Ofen: „Ofen, Ofen! Sag mir, wohin die wilden Schwäne
geflogen sind!“ – „Wenn du von meiner Roggenpi-rogge ißt, sag ich’s.“ – „Oh, bei meinem Väter-chen werden nicht einmal welche aus Weizen ge-gessen!“ Der Ofen sagte’s nicht. Sie lief weiter, da steht ein Apfelbaum. „Apfelbaum, Apfelbaum! Sag, wohin die wilden Schwäne geflogen sind!“ – „Wenn du von meinen Holzäpfeln ißt, sag ich’s.“ – „Oh, bei meinem Väterchen werden nicht einmal Gartenäpfel gegessen!“ Sie lief weiter, da fließt ein Flüßchen aus Milch, hat Ufer aus Brei. „Milch-flüßchen, Breiufer! Wohin sind die wilden Schwäne geflogen?“ – „Wenn du von meinem einfachen Brei mit Milch ißt, sag ich’s.“ – „Oh, bei meinem Väterchen wird nicht einmal Sahne gegessen!“
Und lange hätte sie über die Felder laufen und durch den Wald streifen müssen, aber zum Glück lief ihr ein Igel in den Weg; sie wollte ihm einen Stoß versetzen, fürchtete aber, sich zu stechen, und fragt: „Igelchen, Igelchen, hast du nicht ge-sehen, wohin die wilden Schwäne geflogen sind?“ – „Dorthin!“ zeigte er. Sie lief weiter – da steht eine Hütte auf Hühnerbeinen, steht und dreht sich im Kreise. In der Hütte sitzt eine Baba-Jagá, die Fratze wie Leder, die Beine aus Lehm; da sitzt auch das Brüderchen auf einer Bank und spielt mit goldenen Äpfelchen: Die Schwester sah ihn, stahl sich heran, nahm ihn auf den Arm und trug ihn fort – die wilden Schwäne aber hinter ihr her! Sie holen sie gleich ein, die Bösewichter, wo soll sie sich verstecken? Da eilt das Milchflüßchen mit den Breiufern dahin. „Flüßchen, Mütterchen, ver-steck mich!“ – „Iß von meinem Brei!“ Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie aß. Das Flüßchen setzte sie unters Ufer, und die wilden Schwäne flogen vorbei. Sie kam hervor, sagte: „Danke!“ und läuft mit dem Brüderchen weiter; die wilden Schwäne aber waren umgekehrt und fliegen ihr entgegen. Was tun? Unglück! Da steht der Apfelbaum! „Ap-felbaum, Mütterchen Apfelbaum, versteck mich!“ – „Iß meinen Holzapfel!“ Schnell aß sie ihn. Der Apfelbaum breitete seine Zweige über sie und deckte sie mit seinen Blättern zu; die wilden Schwäne flogen vorbei. Sie kam hervor und läuft mit dem Brüderchen weiter, die wilden Schwäne aber sahen sie – und ihr nach. Sie sind ganz nah, schon schlagen sie sie mit ihren Flügeln; ehe du dich’s versiehst, werden sie ihr’s aus den Händen reißen. Zum Glück steht der Ofen auf dem Wege. „Ofen, gnädiger Herr, versteck mich!“ – „Iß von meiner Roggenpirogge!“ Das Mädchen steckte schnell die Pirogge in den Mund, und dann in den Ofen hinein und ins Ofenloch gesetzt. Die wilden Schwäne flogen und flogen, schrien und schrien und flogen ohne Beute davon. Sie aber lief nach Hause, und es war nur gut, daß sie rechtzeitig kam, denn Vater und Mutter kamen auch gerade.

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