Die Tochter des Zaren

In einem Zarenreich, in einem Staat lebte ein Zar. Der hatte eine einzige Tochter. Und die verschwand jede Nacht, unbekannt wohin. Der Zar ließ überall bekannt machen: „Wer meiner Toch-ter auf die Schliche kommt, dem gebe ich sie zur Frau und gebe ihm das halbe Zarenreich, kommt er ihr aber nicht auf die Schliche, verliert er seinen Kopf.“
Rings um das Haus stand ein Pfahlzaun, der war beinahe ganz mit Menschenköpfen behangen: kein Tag verging, ohne daß ein neuer Kopf auf einen neuen Pfahl kam.
Und es diente ein Soldat in einem Regiment. Des Dienens war er überdrüssig. Er stand auf Wa-che, nahm sein Gewehr und ging auf gut Glück los. Ging er nun lange oder kurze Zeit, nah oder fern, jedenfalls kam er auf eine Waldwiese, die war glatt wie geeggt: da stehen drei Waldgeister und teilen drei Dinge: eine Tarnkappe, ein Tisch-tuch-deck-dich und einen fliegenden Teppich. „Gott helf euch, ihr drei Waldgeister, die drei Din-ge zu teilen!“ – „Danke, Soldat! Teile uns diese Dinge!“ Der Soldat lud sein Gewehr und sagt: „Ich schieße, wer vorn die Kugel fängt, bekommt die drei Dinge!“
Der Soldat schoß, aber er hatte das Gewehr einfach umgedreht. Die Kugel flog nach hinten, die Waldgeister aber rannten nach vorn, die Kugel zu haschen. Der Soldat, nicht faul, setzte die Tarnkappe auf, setzte sich auf den fliegenden Teppich und flog auf gut Glück los.
Er kommt in eben das Reich geflogen, wo im-mer die Zarentochter verschwand.
Er nahm alle diese Dinge, knüllte sie zusam-men, steckte sie in seinen Beutel und ging zum Zaren. „Ich will auf eure Tochter aufpassen, aber nicht nur eine Nacht, sondern drei Nächte!“ Der Zar sagte: „Wenn du ihr auf die Schliche kommst, gebe ich sie dir zur Frau, kommst du ihr aber nicht auf die Schliche, schlage ich dir den Kopf ab und hänge ihn an einen Zaunpfahl.“
Er führte den Soldaten zur Zarentochter ins Schlafzimmer. Das hatte eine Zwischenwand: in dem einen Teil ist der Wächter untergebracht, in dem anderen die Zarentochter. Kaum hatte sich der Soldat ausgezogen und aufs Sofa gesetzt, kommt die Zarentochter heraus und gießt ihm ein Glas Schnaps ein: „Trink, Soldat!“ Der Soldat nahm das Glas, tat, als trinkt er’s aus – drehte sich um und goß es kurzerhand aus. Darin hatte sie ein Schlafpulver gehabt, das hatte der Soldat erraten: er war nicht dumm.
Als er der Zarentochter das leere Glas gegeben hatte, fiel er hintenüber und tat, als sei er einge-schlafen. Die Zarentochter guckte durch ein Loch in der Wand ihres Zimmers – der Soldat schnarchte schon.
Sie rief mit leiser Stimme ihre Dienerinnen und sagt: „Bringt mir zwölf Paar Schuhe und zwölf Paar Strümpfe!“ Sie brachten’s ihr. Unter ihrem Bett aber war eine Geheimtür zum Keller. Sie drückte eine Feder, und die Tür ging auf: sie steigt hinab. Aber der Soldat hatte inzwischen seinen Beutel geöffnet, die Tarnkappe genommen, setzte sie auf den Kopf und war nicht mehr zu sehen.
Die Zarentochter ging in den Keller, er hinter-her. Unten lag eine Zauberplatte. Die Zarentoch-ter hob sie hoch und stieg hinab unter die Erde. Und der Soldat hinterher.
Sie wollte zum Zaren der Unterwelt. Einige Zeit lief sie, hielt an – da war dort ein kupferner Gar-ten: ein kupferner Apfelbaum, aus Kupfer auch die Äpfel. Kaum war sie in den Garten hineingesprungen, schwupp, riß der Soldat einen kupfernen Apfel ab und steckte ihn in seinen Beutel. Plötzlich begannen Glocken zu läuten und Kanonen und Gewehre zu schießen: es wurde Alarm gegeben.
Die Zarentochter erhielt keinen Durchlaß. Sie kehrte also heim. Sie betritt ihr Schlafzimmer, aber der Soldat liegt schon auf seinem Lager, er war vor ihr herausgerannt (die Gärten des Unter-weltszaren sehen nur aus wie Gärten, es sind Vorposten). Die Zarentochter guckte durch das Loch: „Schlaf nur, Soldat, in zwei Tagen wird dir mein Vater den Kopf abschlagen!“
Am Morgen singt noch kein Vogel, aber der Soldat brüllt schon aus vollem Halse: „Los, mein Mittagessen her. Wein und Samowar!“ Und es ist alles für ihn bereit, sie bringen’s. Er heizte den ganzen Tag ein.
Am Abend aber kommt die Zarentochter heraus, bringt ihm ein goldenes Glas voll Schnaps: „Trink, Soldat!“ Der Soldat nahm das Glas, tat so, als trinkt er’s aus – drehte sich um und goß es kurzerhand aus. Als er der Zarentochter das leere Glas gegeben hatte, fiel er hintenüber, als wäre er eingeschlafen. Der Zarentochter wurden zwölf Paar Schuhe und zwölf Paar Strümpfe gebracht, sie stieg hinab unter die Erde und lief los. Der Soldat hinterher. Den kupfernen Garten hatte sie schon hinter sich. Sie kam zu einem silbernen. Ein silberner Apfelbaum, aus Silber auch die Äpfel. Der Soldat riß einen Apfel ab, knüllte ihn zusammen und steckte ihn in seinen Beutel. Plötzlich begannen Glocken zu läuten, es wurde Großalarm gegeben. Sie erhielt wieder keinen Durchlaß. Sie kehrte heim, der Soldat aber war schon wieder vor ihr auf seinem Lager. Sie guckte durch das Loch und sprach zu sich: „Schlaf nur, Soldat, noch einen Tag, und mein Vater wird dir den Kopf abschlagen!“
Am Morgen singt noch kein Vogel, aber der Soldat brüllt schon aus vollem Halse: „Los, mein Mittagessen her. Wein und Samowar!“ Und es wird ihm alles gebracht.
Am dritten Abend kommt die Zarentochter her-aus und bringt ihm einen goldenen Becher voll Schnaps mit einem Pulver. Der Soldat denkt: „Ein wenig will ich kosten!“ Er schluckte einen Schluck hinter, den Rest goß er aus: kaum hatte er der Zarentochter den Becher gegeben, da fiel er hintenüber und schlief ein. Der Zarentochter wurden zwölf Paar Schuhe und zwölf Paar Strümpfe ge-bracht; sie stieg hinab unter die Erde und lief los, der Soldat aber blieb zurück.
Drei Minuten später wachte der Soldat auf und sieht: die Zarentochter ist fort. Er nahm seine Tarnkappe, setzte sie auf den Kopf, drückte die Feder: die Geheimtür ging auf, und der Soldat stieg hinab in den Keller. Dort begann er, die Plat-te herumzuwälzen. Die Platte war schwer, und er konnte sie nicht sofort hochheben. Schließlich nahm er all seine Kräfte zusammen, hob die Plat-te recht und schlecht hoch und stieg hinab unter die Erde. Er durchlief den kupfernen Garten, den silbernen Garten durchlief er, aber die Zarentochter war nicht da. Er kommt zu einem goldenen Garten, auch hier ist die Zarentochter nicht. Er pflückte einen goldenen Apfel. Wieder wurde Alarm gegeben. Weil aber die Zarentochter schon durch war, konnten sie sie nicht aufhalten, der Soldat aber war in seiner Tarnkappe – er war nicht zu sehen und ging weiter.
Er kommt zum Meer und sieht: die Zarentochter steigt einen Berg empor. Dort war ein Kristallberg. Dieser Berg ist das Meeresufer. Hier erreichte der Soldat die Zarentochter. Die Zarentochter trat an den Rand des Berges und sagt: „Erscheine, Wagen ohne Achsen und ohne Räder, einfach so in der Luft!“ Der Wagen erschien, die Zaren-tochter setzte sich hinein, der Soldat ihr auf die Knie, und sie fuhren davon übers Meer zum Zaren von jenseits des Meeres.
Der Zar empfängt die Zarentochter und sagt: „Ljubuschka, warum bist du zwei Tage nicht bei mir gewesen?“ – „Deine verfluchten Diener haben mich ja nicht durchgelassen!“ – „Ich werde sofort befehlen, alle Diener abzulösen.“ Er nahm ihren Arm und führte sie in seinen Palast. Und der Soldat hinterher.
Er setzte sie auf einen Stuhl; er hatte aber eine Karaffe Biet-selbst-an: sie gießt selber ein und bietet selber an. Der Zar sagte: „Karaffe, biete an!“ Die Karaffe sprang aus dem Schrank, ehe man sich’s versah. Gießt selber ein und bietet selber an, zuerst dem Zaren, dann der Zarentochter und übergeht auch den Soldaten nicht. Der Zar fragt: „Ljubuschka, was ist denn das, wir sind nur zwei, sie aber gießt dreimal ein, wem bietet sie denn an?“ – „Ich weiß nicht. Nur als ich heute übers Meer fuhr, war auf meinen Knien eine schreckliche Last.“
„Nun denn, gehen wir jetzt. Was für ein Kleid und was für Schuhe ich für dich besorgt habe!“ Er nimmt’s aus dem Schrank und zeigt’s der Zaren-tochter. Kleid und Schuhe waren von unbeschreiblicher Schönheit. Der Soldat aber nahm alles, knüllte’s zusammen und steckte es in seinen Beutel.
„Nun, Ljubuschka, jetzt wirst du nicht mehr so zu mir kommen: wir beide werden jetzt heiraten!“ – „Um nichts in der Welt! Ich muß noch einmal bei meinem Vater sein“, sagt sie. „Warum?“ – „Ich muß zusehen, wie mein Vater dem Soldaten den Kopf abschlägt!“
Sie unterhielten sich ein Weilchen. Der Zar von jenseits des Meeres begleitete die Zarentochter. Als sie ans Meeresufer kamen, sagte sie: „Er-scheine, Wagen ohne Achsen und ohne Räder, einfach so in der Luft!“ Der Wagen erschien, die Zarentochter setzte sich hinein, der Soldat aber kam nicht dazu, sich ihr auf die Knie zu setzen, weil er schon ordentlich beschwipst war. Der Wagen flog davon, und der Soldat konnte gerade noch hinten die Stangen erhaschen (es waren da wohl irgendwelche Stangen angebracht). Er erwischte sie und wurde mitgezogen. Sie fuhren übers Meer. Dann ergriff er den Wagen, knüllte ihn zusammen und steckte ihn in seinen Beutel.
Die Zarentochter lief – sie trug schon das letzte Paar Schuhe und das letzte Paar Strümpfe; als sie in ihr Schlafzimmer kam, sah sie durch das Loch nach dem Soldaten; der Soldat schlief schon auf seinem Lager. Da lachte die Zarentochter: „Schlaf nur, Soldat, morgen früh wird dir mein Vater den Kopf abschlagen!“
Am anderen Tag singt noch kein Vogel, der Sol-dat aber brüllt aus vollem Halse – er verlangt Wein, sein Mittagessen und den Samowar.
Der Zar kommt selber, zieht den Säbel und will dem Soldaten den Kopf abschlagen. Der Soldat sprang beiseite: „Da hört sich doch alles auf! We-gen solcher Schweinehunde die Köpfe abschlagen!“
Er setzte seine Tarnkappe auf – und war nicht mehr zu sehen. Und er sagt: „Zar, du denkst, ich habe deine Tochter entwischen lassen?! Nein, ich weiß alles. Versammle alle deine Generäle, dann werde ich es schon erklären.“
Als alle versammelt waren, bat der Soldat zu verbürgen, wer seine Rede unterbricht, der soll hundert Rubel zahlen und hundert Rutenhiebe be-kommen. Alle waren’s einverstanden. Da erzählte der Soldat, wie alles war…
Als er zu dem kupfernen Garten kam, sagte ein General: „Das ist nicht wahr, so etwas gibt es nicht!“ Der Soldat öffnet seinen Beutel: „Und was ist das?“ sagt er. Sogleich wurde der General auf den Fußboden gelegt und durchgebläut; und sie bläuten ihn durch, daß es eine Art hatte!
Als er zu dem silbernen Garten kam, sagte der zweite General: „So etwas gibt es nun aber bestimmt nicht! Einen kupfernen Garten, meinetwe-gen, das haben wir schon gesehen, aber einen silbernen hat man noch nie gesehen!“ Der Soldat öffnet seinen Beutel: „Und was ist das?“ sagt er. Sogleich wurde der General auf den Fußboden gelegt und durchgebläut; und sie bläuten ihn durch, daß es eine Art hatte.
Als er zum goldenen Garten kam, sagte der dritte General: „So etwas gibt es nun aber be-stimmt nicht! Einen kupfernen, einen silbernen haben wir schon gesehen, aber goldene hat man noch nie gesehen!“ Der Soldat öffnet seinen Beutel: „Und was ist das?“ sagt er. Sogleich wurde der General auf den Fußboden gelegt und durchgebläut!…
„Wir kamen zum Zaren von jenseits des Mee-res. Und der Zar hat eine Karaffe Biet-selbst-an: die gießt selber ein und bietet selber an.“ Er stellt sie auf den Tisch und sagt: „Karaffe, biete an.“ Die Karaffe bot allen an. Und alle lobten ihn.
Darauf holte er das Kleid heraus. Erklärte alles. Der Zar befahl sogleich seiner Tochter, sich für die Trauung mit dem Soldaten zu schmücken. Den Bräutigam fragt er: „Nun, Soldat, fährst du nach Hause, oder willst du hierbleiben?“ – „Nach Hause“, sagte der. Der Zar belohnte ihn reichlich.
Und sie machten sich auf einem Schiff auf die Heimfahrt. Die Zarentochter fragt den Soldaten: „Warum fährst du nach Hause?“ – „Ich werde mähen, mit der Sense, und dich werde ich auch dazu zwingen.“ Die Zarentochter sagt: „Was fällt Euch ein, haben wir etwa bei meinem Vater nicht genug zum Leben?“ – „Laß nur, sonst läßt du dir’s einfallen, zum Unterweltszaren von jenseits des Meeres zu fliehen!“
Da bat die Zarentochter den Soldaten unter Tränen, er solle sie nicht fortbringen, und schwor, ihm auf ewig treu zu sein. Der Soldat kehrte zum Zaren zurück, und als der Zar starb, wurde er Zar.

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