Die Schafe im Meer

In einem Zarenreich, in einem Staat lebte einmal ein alter Mann; er lebte in Armut, aber er hatte drei Söhne – der älteste war klug, der mittlere war nicht gerade klug, aber doch kein Dummkopf, der jüngste aber war ganz und gar ein Dumm-kopf. Die Not peinigte sie, daß es nicht mehr zum Aushalten war, und der älteste Sohn sagt:
„Lag mich fort, Vater, ich will gehen und Arbeit suchen.“
Nun, der Vater wollte ihn nicht gleich fortlassen: „Wohin willst du denn gehen?“
„Je nun, ehe ich so lebe, will ich lieber arbeiten gehen.“
„Nun, geh mit Gott!“
Der Älteste ging los und kommt an einen Fluß, der war nicht gerade tief, aber breit; am Ufer sitzt eine Alte und bittet:
„Wackerer Bursche, trag mich auf die andere Seite hinüber!“
„Hol dich der und jener, alter Satan, wenn ich nur selber hinüberkomme!“ Er watete durch den Fluß und ging weiter. Ging er nun nah oder fern, niedrig oder hoch, jedenfalls erblickte er eine kleine Hütte, und in der Hütte war ein alter Mann:
„Wohin willst du, wackerer Bursche?“
„Arbeit suchen, Großvater.“
„Verding dich zu mir, bei mir ist die Arbeit leicht – Schafe hüten; hütest du drei Tage und bekommst heraus, was die Schafe fressen – dreihundert Rubel, kriegst du’s nicht heraus – dreihundert Peitschenhiebe.“ Er dachte: „Wie soll ich das nicht herausbekommen, was die Schafe fressen?“
„Ich krieg’s heraus“, sagt er.
Nun, sie tranken Kwaß, beteten zum Heiland und legten sich schlafen. Am Morgen stand er auf und trieb die Schafe aus. Die Schafe gingen zum Meer, der schwarze Schafbock sprang ins Meer und die Schafe ihm nach. Da steht der Bursche und überlegt, was er tun soll. Er weinte und wein-te, wie er sich aber helfen soll in seiner Not, weiß er nicht. Am Abend stiegen die Schafe aus dem Meer, er trieb sie heim und sagte dem Alten nichts. Am anderen Tag genauso, und am dritten trieb er sie wieder heim, rupfte aber vorher Gras und steckte es unters Hemd. Wie er die Schafe eintreibt, fragt der Alte:
„Nun, hast du herausbekommen, was die Schafe fressen?“
„Ja.“ Und er zeigt das Gras.
Da band ihn der Alte an einen Pfahl und gab ihm dreihundert Peitschenhiebe. Der Bursche schleppte sich mit knapper Not nach Hause.
Auch der zweite begann zu betteln, aber der Vater wollte ihn nicht gehen lassen: „Der ist schon krank zurückgekommen, und jetzt willst du fort.“ Aber er gehorchte nicht und ging.
Ging er nun nah oder fern, niedrig oder hoch, jedenfalls kommt er an einen Fluß, der ist nicht gar so tief, aber breit. Am Ufer sitzt eine Alte und sagt:
„Wackerer Bursche, trag mich auf die andere Seite hinüber!’
„Hol dich der und jener, alter Satan, wenn ich nur selber hinüberkomme!“
Und er watete hindurch.
Wie er drüben ist, geht er weiter und sieht eine kleine Hütte, und in der Hütte sitzt ein alter Mann.
„Wohin willst du, wackerer Bursche?“
„Ich gehe Arbeit suchen, Großvater.“
„Verding dich zu mir, bei mir ist die Arbeit leicht – drei Tage Schafe hüten; kriegst du heraus, was die Schafe fressen – dreihundert Rubel, kriegst du’s nicht heraus – dreihundert Peitschenhiebe.“
„Nun“, denkt er, „wie soll ich das nicht heraus-kriegen; ich krieg’s heraus“, und er schlug ein. Es endete genauso wie bei dem älteren Bruder.
Mit Mühe und Not schleppt er sich nach Hause; der Vater sah’s und wurde böse.
„Da siehst du, was du dir verdient hast.“
Aber auch der erzählte nicht, was mit ihm ge-wesen war.
Da wollte Iwan der Dummkopf gehen.
„Wohin willst du denn gehen, du siehst doch, wieviel deine Brüder verdient haben.“
„Nun, ich gehe trotzdem.“
Und er ging.
Ging er nun nah oder fern, niedrig oder hoch, jedenfalls geht er und sieht einen Fluß, nicht tief, aber breit. Am Ufer sitzt eine Alte und bittet:
„Wackerer Bursche, trag mich auf die andere Seite hinüber.“
„Setz dich nur auf meine Schultern!“
Die Alte saß auf, er trug sie flink ans andere Ufer, und die Alte sagt zu ihm:
„Nun höre, Iwan, wenn du mich einmal brauchst, dann sage nur: ,Wo ist mein Großmütterchen?’ Ich werde zur Stelle sein.“
Iwan ging weiter.
Er geht – da steht auf einmal eine kleine Hütte, und in der Hütte ist ein alter Mann.
„Wohin willst du, junger Mann?“
„Arbeit suchen, Großvater.“
„Verding dich zu mir, bei mir ist die Arbeit leicht – Schafe hüten; kriegst du heraus, was die Schafe fressen – dreihundert Rubel, kriegst du’s nicht heraus – dreihundert Peitschenhiebe.“
„Nun gut, ich will’s versuchen.“ Bei sich aber denkt er: „Hier ist es wohl gewesen, wo es meine Brüder erwischt hat.“
Sie tranken Kwaß, beteten zum Heiland und legten sich schlafen.
Am Morgen stand er auf und trieb die Schafe aus. Kaum waren sie ans Meer gekommen, sprang der Schafbock ins Wasser und die Schafe hinterher. Iwan steht da und denkt: „Da hast du die Bescherung, was nun?“ Am Abend stiegen die Schafe aus dem Meer, und Iwan trieb sie heim. Am zweiten Tag dasselbe. Iwan weiß nicht, was er tun soll, er ist dicht am Weinen: „So verdiene ich mir ja dreihundert Peitschenhiebe“, und da fiel ihm ein:
„Wo ist mein Großmütterchen?“
„Ich bin zur Stelle“, steht sie schon neben ihm.
Da erzählte er ihr, daß die Schafe ins Meer verschwinden und er nicht herausbekommen kann, was sie fressen. Sie sagt zu ihm:
„Du mußt folgendes machen, Iwan: Wenn du die Schafe austreibst, geh hinter dem schwarzen Schafbock her; wenn er ins Meer springt, pack ihn an den Hörnern und setz dich auf ihn drauf. Und dort paß gut auf: was sie geben werden, das nimm, dann wirst du herausbekommen, wovon sich die Schafe ernähren. Das ist noch nicht alles: wenn du die Schafe heimgetrieben hast und dem Alten gibst, wovon sich die Schafe ernähren, dann nimm von ihm weder Gold noch etwas anderes, sondern erbitte von ihm den Sack Schütteldich, den Beutel Schüttel-dich, die Kappe Sieh-mich-nicht und die Stiefel Laufe-schnell.“
Den dritten Tag trieb Iwan die Schafe zum Meer und wich nicht von dem schwarzen Schafbock; sobald der ins Meer springen will, packt Iwan ihn bei den Hörnern, sitzt auf seinem Rücken und springt so mit dem Bock ins Meer. Der Schafbock war plötzlich ein Pope und die Schafe Menschen, und er hielt eine Messe, und nach der Messe verteilten sie Weihbrote, und alle gaben Iwan ein ganzes Weihbrot; er nahm’s und steckte alles unters Hemd; darauf wurden alle wieder zu Schafen und der Pope zum Schafbock. Iwan packte den Schafbock bei den Hörnern und stieg aus dem Meer. Er trieb die Schafherde heim, und der Alte fragt:
„Nun, wie ist’s, hast du herausgekriegt, wovon sich die Schafe ernähren?“
„Ja“, und er holte die Weihbrote aus seinem Hemd hervor und gab sie dem Alten.
Bei dem Alten wurden die Weihbrote zu Steinen. Da will er Iwan Gold geben, der aber sagt, daß er kein Gold braucht, sondern den Sack Schüttel-dich, den Beutel Schüttel-dich, die Kappe Sieh-mich-nicht und die Stiefel Laufe-schnell. Wie sich der Alte auch winden mochte, er mußte alles herausgeben.
Iwan nahm’s und machte sich auf den Heim-weg, da war die Alte zur Stelle:
„Nein, es ist noch zu früh für dich, nach Hause zu gehen, komm mit in die Stadt.“
Er ging mit der Alten in die Stadt, da sagt sie:
„Höre, schüttle deinen Sack Schüttel-dich, schüttle eine hübsche Menge Geld zusammen und miete Zimmerleute, ein Schiff zu bauen, miete tüchtige Ruderer und laß das Segel hissen.“
Sie machten das Schiff, und die Alte fuhr mit Iwan los. Die Alte gibt ihm ein Fernrohr:
„Sieh durch“, sagt sie, „du hast jüngere Au-gen.“
Er sah durch und sagt:
„Irgend etwas Schwarzes ist dort in der Ferne zu sehen.“
„Genau dorthin laß das Schiff fahren.“
Das Schiff machte eine Wendung und fuhr dort-hin; sie kamen an eine Insel. Da sagt die Alte:
„Nun, geh über diese Insel und sieh, was es dort Interessantes gibt.“
Iwan ging lange auf der Insel umher, fand nichts Interessantes, sah dort nur Zarenvögel und Kaiserfedern, sammelte die Eier und zerschlug sie an Baumstümpfen; dann fand er irgendwelche Ruinen, Ziegel liegen herum.
Er kehrte zum Schiff zurück, und das Großmütterchen fragt ihn:
„Nun, was hast du dort Interessantes oder Lehrreiches gesehen?“
„Nichts habe ich gesehen, Großmütterchen, ha-be nur Zarenvögel und Kaiserfedern gesehen; Eier habe ich gesammelt und an den Baumstümpfen zerschlagen.“
„Und weiter hast du nichts gesehen?“
„Ich habe noch irgendwelche Ruinen gesehen, Ziegel liegen herum.“
„Das eben brauchen wir; schicke die Ruderer, sie sollen diese Ziegel bis auf den letzten zusam-mentragen und hierherbringen.“
Iwan schickte die Ruderer, die trugen alle Zie-gel zusammen und brachten sie aufs Schiff.
Sie fuhren in ein Zarenreich, einen Staat.
Sie kamen dort an, da schickt die Alte Iwan:
„Bring dem Zaren ein Geschenk“, und sie nahm ein paar Ziegel, verbot ihm aber, sie bei offenen Fenstern zu zeigen.
Iwan kommt zum Zaren und bittet, ihn zu melden. Der Zar befahl, ihn vorzulassen:
„Was hast du mir zu sagen, Bursche?“
„Hier, Kaiserliche Majestät, habe ich dir ein Ge-schenk gebracht, man darf es aber nicht bei offe-nen Fenstern ansehen, die Fensterläden müssen geschlossen werden.“
Der Zar befahl, die Läden zu schließen. Iwan öffnete sein Bündel, da war es, als wenn in dem Gemach die Sonne erstrahlte – so hell wurde es; die Steine brennen wie Feuer und schillern in den verschiedensten Farben. Der Zar freute sich, be-dankte sich bei dem Dummkopf und erteilte ihm die Erlaubnis, durch das ganze Reich zu gehen und sich alles anzusehen. Iwan geht durch die Stadt und sieht, was es dort Nützliches, was es dort Lehrreiches gibt. Auf einmal sieht er, es steht da eine große, riesengroße, hohe und nochmals hohe Säule, und an der Säule ist eine große Tafel, auf der geschrieben steht:
„Wer mir erklären kann, wo die Königstochter zwölf Paar Schuhe in einer Nacht durchtanzt, dem gebe ich sie zur Frau.“
Iwan kommt nach Hause, und das Großmütterchen fragt ihn:
„Wie ist’s, warst du beim König?“
„Ja, er hat mir die Erlaubnis gegeben, durch die ganze Stadt zu gehen und mir alles anzusehen.“
„Nun, was hast du dort Nützliches und Lehrreiches gesehen?“
„Nichts habe ich gesehen, nur eine hohe und nochmals hohe, große, riesengroße Säule habe ich gesehen, daran eine große Tafel, und auf der stand geschrieben: ‚Wer mir erklären kann, wo die Königstochter in einer Nacht zwölf Paar Schuhe durchtanzt, dem gebe ich sie zur Frau.’“
„Nun siehst du, das ist etwas Lehrreiches und Nützliches; setz die Kappe Sieh-mich-nicht auf und zieh die Stiefel Laufe-schnell an und geh ins Schloß zur Königstochter; was sie tun wird, das tu du auch.“
Er machte alles so. Kommt zur Königstochter, und sie gibt Befehl, zwölf Paar Schuhe zu putzen, darauf befahl sie, ihr Tee zu bringen; man setzte sich zum Tee, und Iwan sitzt daneben und trinkt auch. Sie gießen eine Tasse ein, da ist sie schon leer; er stößt die Zarentochter an, sie verschüttet oder zerschlägt die Tasse.
„Was ist mit mir los“, sagt die Zarentochter, „ich verschütte und zerbreche alles.“
Nach dem Tee besprengte sie sich aus einem Parfümfläschchen, warf sich auf den Fußboden und flog fort. Dann ging sie zum Ufer. Iwan tat dasselbe – und ihr nach; sie rief Ruderer herbei, ein Boot fuhr vor, sie setzte sich in das Boot, fuhr zu einer Insel, und Iwan mit ihr. Sie kamen an, die Königstochter stieg ans Ufer, schwenkte ein Tuch, und sogleich erschien ein Schloß. Sie ging in das Schloß hinein und begann, die Türen aufzu-schließen, eine nach der anderen, zwölf Türen. Sie kamen ins zwölfte Zimmer; sie stieß eine Truhe auf, ließ einen Hasen heraus, schlug ihn auf die Backe, aus dem Hasen wurde ein Musikant, der begann zu spielen und die Zarentochter zu tanzen. Sie tanzt und tanzt ohne Pause. Am Morgen sind alle zwölf Paar durchgetanzt. Die Königstochter schlug den Musikanten auf die Backe, es wur-de ein Hase aus ihm, sie sperrte ihn in die Kiste, ging hinaus, schwenkte ihr Tuch – das Schloß war weg, nur ein Ei war geblieben; sie nahm das Ei in ihr Tuch, ging zum Ufer, setzte sich ins Boot, und sie fuhren davon. Unterwegs fragt sie die Rude-rer:
„Wie kommt’s, daß das Boot heute so schwer von der Stelle kommt?“
„Ja, wir rudern mit Mühe, als ob irgendeine Last darin wäre.“
Sie stieg an Land, warf sich auf die Erde und flog davon. Und Iwan flog auch davon. Am anderen Tag dasselbe, nur während sie tanzte, nahm Iwan das Tuch, verschloß die Zimmer, ging hinaus, schwenkte das Tuch, legte das Ei hinein und steckte’s in die Tasche. Er kommt nach Hause und erzählt alles dem Großmütterchen. Da sagt sie zu ihm: „Geh und sag dem Zaren, er soll alle ausländischen Gäste versammeln, dann erklärst du ihm, wo die Zarentochter in einer Nacht zwölf Paar Schuhe durchtanzt.“
Iwan ging zum Zaren und sagte:
„Ich kann erklären, wo die Zarentochter in einer Nacht zwölf Paar Schuhe durchtanzt, nur ladet alle ausländischen Gäste dazu ein.“
Das sagte er, damit der Zar sein Wort nicht zurücknahm und ihm die Zarentochter gab.
Als alle ausländischen Besucher versammelt waren, bat Iwan alle, ihm zu folgen. Sie kamen ans Ufer, er rief die Ruderer herbei, sie fuhren zur Insel hinüber, dann schwenkte Iwan das Tuch, sofort wuchs das Schloß empor, sie gingen alle mit ihm ins Schloß, er öffnete alle elf Türen, kommt zur zwölften, schließt auf, und alle sahen sogleich, daß die Königstochter noch immer tanzte. Alle Schuhe waren schon durchgetanzt, ihre Füße waren ganz blutig, aber sie tanzte immer weiter. Da ging Iwan zu dem Musikanten, schlug ihn auf die Backe, und er wurde wieder zum Ha-sen; er setzte ihn in den Kasten und schloß ab. Die Zarentochter brachten sie ins Schloß, Iwan aber schwenkte das Tuch, und das Schloß war verschwunden, das Ei aber steckte er in die Ta-sche. Danach blieb dem Zaren nichts anderes üb-rig, als Iwan die Königstochter zur Frau zu geben. Er erklärte ihn zu seinem Erben, und sie lebten herrlich und in Freuden und wurden reiche Leute.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


− drei = 3

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>