Ein Specht hatte sich einmal ein Nest gebaut, hat-te Eier gelegt und Junge ausgebrütet, drei kleine Spechtkinder. Da freute er sich und dachte: „Ich werde meine Kinder großziehen und meine Freude daran haben, und im Alter werden sie mich unterstützen.“ Aber nicht umsonst sagen die Leute: „Den Specht erkennt man an seiner langen Nase.“ Er konnte sich nicht für sich allein freuen, sondern posaunte im ganzen Walde aus, daß Gott ihm Kinder geschenkt habe. Alle Vögel, die er traf, lud er zum Feiern ein. Die Gäste kamen und feierten. Sie feierten so sehr, daß sie sich kaum noch nach Hause schleppen konnten. Nachher ging die Kun-de von der großen Feier beim Specht durch den ganzen Wald. Auch der Fuchs hörte davon. „Warte nur, du Flegel“, sagte er zu sich selbst, „du hast mich nicht zur Feier eingeladen, dafür werde ich dir einen Denkzettel verpassen!“
Der Specht zog seine Kinder groß, gab ihnen zu essen und zu trinken, der Fuchs aber lief um das Nest herum, fletschte die Zähne und überlegte, wie er die Spechtkinder aus der Welt schaffen könne. Da kam ihm ein Gedanke. Er ging zu dem Baum, auf dem das Nest war, und klopfte mit dem Schwanz an den Baum.
„Was machst du da, Fuchs?“ fragte ihn der Specht. „Warum erschreckst du meine Kinder?“
„Was, du hast Kinder?“ sagte der Fuchs. „Das habe ich ja gar nicht gewußt. Jag sie aus dem Nest, denn ich brauche diesen Baum als Brenn-holz!“
„Ach lieber Fuchs, ach Gevatterchen!“ flehte der Specht ihn an, „laß mich meine Kinder erst großziehen, dann kannst du den Baum fällen.“
„Ich kann nicht warten!“ sagte der Fuchs. „Ist es denn meine Schuld, daß du hier dein Nest gebaut hast? Hattest du denn nicht andere Bäume genug?“
„Das stimmt, es gibt noch andere Bäume“, sagte der Specht. „Aber wer konnte denn wissen, daß du gerade diesen Baum fällen willst?“
„Dann hättest du eben fragen sollen“, sagte der Fuchs. „Du hast doch eine Zunge. Du bist selbst schuld und kannst dich bei niemandem beklagen.“
„Was soll ich denn tun, Gevatter? Gib mir einen Rat!“ bat ihn der arme Specht.
„Du bittest um Rat? Dann höre meinen Rat: Behalt deine Kinder nicht bei dir, sonst verwöhnst du sie, und sie werden faul. Gib sie lieber irgendwo in die Lehre, da kommen sie zu etwas, lernen arbeiten und werden Leute. Sie werden dir dafür dankbar sein und dich achten, wenn du alt bist.“
„Vielleicht hast du recht“, sagte der Specht. „Aber ich kenne keine Leute, zu denen ich meine Kinder in die Lehre geben könnte.“
„Gib sie mir“, sagte der Fuchs, „ich werde dir helfen! Ich gebe deine Kinder in die Lehre.“
„Dank dir, Gevatter, daß du mir aus der Not hilfst! Ich werde dir ewig dankbar sein.“
„Bedanken kannst du dich nachher“, sagte der Fuchs, „jetzt wirf mir erst deine Kinder herunter!“
Der Specht warf ein Junges hinunter, der Fuchs packte es, lief ins Gebüsch und fraß es auf. Er leckte sich das Maul, ging wieder zu dem Specht und sagte: „Ich habe dein Kind zu einem Schmied in die Lehre gegeben, das ist eine einträgliche Arbeit. Wirf mir nun das nächste herunter!“
Der Specht warf auch das zweite Junge hinunter, der Fuchs packte es, trug es ins Gebüsch und fraß es auf. Dann ging er zu dem Specht zurück und sagte: „Ich habe dein Kind zu einem Tischler in die Lehre gegeben, das ist die richtige Arbeit für einen Specht. Da wird es immer sein Brot haben. Wirf mir das dritte herunter, ich gebe es zu einem Böttcher! Spechte können auch Böttcher werden.“
Der Specht warf auch sein drittes Kind hinunter und bedankte sich beim Fuchs, daß er sich so um seine Kinder kümmerte.
Der Fuchs fraß das dritte Spechtkind ebenso wie die beiden ersten auf. Dann kam er wieder zu dem Specht und sagte: „Wirf mir das nächste herunter, wenn noch eines da ist!“
„Es waren schon alle“, sagte der Specht.
„Wenn es alle waren, dann kannst du mich am Hintern lecken! Ich habe deine Kinder alle aufgefressen. Du hättest nicht so prahlen sollen.“
Als der Specht das hörte, begann er zu weinen und erhob ein Mordsgeschrei. Er trauerte um seine Kinder und war wütend, weil ihn der Fuchs noch obendrein verhöhnt hatte. Wenn er die Kraft dazu gehabt hätte, hätte er den Schurken in Stücke gerissen. Aber Gott hat dem Specht keine Kraft gegeben.
Der Fuchs verhöhnte ihn und fletschte die Zähne.
Wem habe ich denn Böses getan, dachte der Specht, daß der Fuchs meine Kinder getötet und mir übel mitgespielt hat? Dafür werde ich auch jemandem einen Streich spielen. Dann wird man auch an mich denken.
So machte sich der Specht auf die Suche nach jemandem, an dem er seine Wut auslassen konnte. Während des Fluges sah er einen Bauern fahren, der etwas in einem Faß transportierte. An dem werde ich meine Wut auslassen, dieser Bauer soll mir alles büßen! Der Bauer hatte Wagenschmiere in seinem Faß. Die wollte er verkaufen und für den Erlös Salz kaufen. Der Specht setzte sich auf das Faß und hackte mit dem Schnabel darauf. Der Bauer bemerkte ihn und befürchtete, daß die Wagenschmiere herausfließen könnte. Er nahm das Beil, das er am Gürtel trug, und schlug mit dem Beilrücken zu, traf aber nicht den Specht, sondern das Faß. Da zerbrach das Faß. Dem Bauern war der Schaden kaum bewußt ge-worden, da sah er den Specht auf der Stirn des Pferdes sitzen und hacken. Er holte mit dem Beil aus und wollte den Specht erschlagen, schlug aber dem Pferd auf die Stirn, so daß es tot umfiel. Der Specht aber flog davon.
Da weinte der Bauer und sagte: „Das Faß habe ich entzweigeschlagen, die Wagenschmiere ist he-rausgelaufen, mein Pferd habe ich erschlagen, und das alles wegen des verfluchten Spechtes. Wenn ich ihn erwische, soll er an mich denken!“
Der Specht aber flog in die Hütte des Bauern. Die Bauersfrau rührte gerade Brotteig ein und schaukelte mit dem Fuß ihr Kind. Der Specht setzte sich in die Wiege und hackte dem Kind auf die Stirn. Es begann zu weinen, und die Frau wurde darauf aufmerksam, daß der Specht auf das Kind einhackte. „Verrecken sollst du!“ schrie sie und schlug – klatsch – mit der Kelle, traf aber nicht den Specht, sondern das Kind und erschlug es. Da packte sie die Wut, sie stürzte sich auf den Specht, um ihn zu fangen. Es gelang ihr auch, und sie sperrte ihn in einen Topf. Dann überlegte sie, wie sie ihn umbringen sollte. Inzwischen kam ihr Mann und weinte. „Warum weinst du?“ fragte die Frau. „So und so“, erzählte er ihr.
„Ich habe zwar unser Kind erschlagen, habe aber den verfluchten Specht gefangen“, sagte die Frau zu ihrem Mann.
„Zeig ihn mir, ich esse ihn lebendig auf!“ sagte der Mann. Er nahm den Topf hoch und nahm den Specht in die Hände: „Ich fresse dich, du Scheu-sal!“ sagte er und öffnete den Mund. Schwupp, flog ihm der Specht in den Mund und kroch von dort aus in den Magen. Dort rumorte er dann. Der Bauer wußte nicht, was er machen sollte. Der Bauch tat ihm weh, denn der Specht hackte ge-gen den Magen. Er konnte aber auch nicht austreten gehen, denn der Specht hackte ihn in den Hintern. Er wußte nicht, wie er sich von ihm befreien sollte.
Da sagte er zu seiner Frau: „Komm her, Alte! Nimm die Sense zur Hand, und sowie der Specht seinen Kopf zeigt, schlägst du mit der Sense zu.“
Die Alte nahm die Sense und paßte auf. Der Specht zeigte zwar den Kopf, zog ihn aber schnell wieder zurück, als wollte er sie foppen. Dann steckte er doch noch einmal den Schnabel heraus, und die Alte schlug schnell mit der Sense zu. „Auuuu!“ schrie der Mann, denn sie hatte ihm den Hintern abgehauen. Der Specht aber flog lustig davon.
Die Rache des Spechtes
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