Die Liebe

In irgendeinem Zarenreiche, in irgendeinem Staa-te, lebten einmal vor langer, langer Zeit, als es uns noch nicht gab, ein König und eine Hexe, das war seine Frau. Sie hatten keine Kinder. Der König machte sich Sorgen darüber, daß keiner da war, dem er sein Zarenreich hinterlassen konnte. Er dachte daran, die Königin zu verjagen oder umzubringen und sich eine andere Frau zu nehmen, um vielleicht von dieser einen Sohn zu bekommen. Das bekam die Königin zu erfahren und beschloß, den König zu betrügen, nur um Königin zu bleiben. So sagte sie dem König, daß sie doch schließlich schwanger geworden sei. Da freute sich der König, hütete seine liebe Frau wie seinen Augapfel und wartete auf die Stunde, in der sie ein Kind zur Welt bringen sollte. Inzwischen aber hatte sie mit alten Weibern vereinbart, daß diese ihr einen fremden kleinen Jungen herbeischaffen sollten. Die alten Frauen brauchten sich nicht lange zu bemühen, denn bekanntlich gibt es sehr viele Kinder, die großgezogen werden müssen; denn Kinder zur Welt bringen ist ja kein Kunststück. Und schließlich ist auch keine Mutter ein Feind ihres Kindes; sie ist froh, wenn ihr Söhn-chen ein König wird. So hielten die alten Weiber Ausschau nach schwangeren Frauen und Mädchen und warteten, bis sie niederkamen. Nur, o weh! Alle, die niederkamen, brachten Mädchen zur Welt.
Da erschraken die alten Weiber und wußten nicht, was sie tun sollten, denn die Zeit kam schon heran, und sie hatten noch keinen Knaben. Da gingen sie einmal an einen Teich und sahen etwas im Wasser schwimmen. Sie nahmen eine lange Rute und versuchten, es ans Ufer zu treiben. Aber so sehr sie sich auch mühten, sie stießen es noch weiter vom Ufer weg. Sie wollten schon aufgeben und ihren Angelegenheiten weiter nachgehen, als sie ein Kind schreien hörten. Das versetzte die alten Weiber in Aufregung, und sie wollten ins Wasser steigen. Sie versuchten es, aber es war zu tief. Da wollten sie Leute herbeiru-fen, aber sie hatten Angst, daß das dem König zu Ohren kommen könnte.
Da kam ein sehr armes Mädchen, und das war die Mutter dieses Kindes. Sie setzte sich still in einen Busch und sah zu, was mit ihrem kleinen Söhnchen passierte, das sie selbst nicht großzie-hen konnte, weil die Leute sonst lachen und sich über sie lustig machen würden. Darum ging sie zu den alten Weibern und sagte, daß sie den Trog aus dem Wasser holen würde. Während die alten Weiber berieten, was sie tun sollten, sprang das Mädchen ins Wasser, so wie es war, und wäre bald ertrunken. Aber sie holte den Trog ans Ufer. Als die alten Weiber die Windeln auseinander-schlugen, sahen sie dort einen kleinen Jungen lie-gen, der war so hübsch und so kräftig, daß man es im Märchen nicht erzählen kann. Die alten Weiber nahmen diesen Jungen und brachten ihn heimlich in den Palast zur Königin. Als jenes Mäd-chen sah, daß man ihr Kind in den Palast trug, da freute sie sich, blieb noch ein Weilchen stehen, sah hinterher, bekreuzigte sich, ging nach Hause und freute sich so, als wäre sie gerade zur Welt gekommen.
Da gab die Königin bekannt, daß ihr ein Sohn geboren sei. Der König war sehr froh. Er ließ für die ganze Welt ein Fest veranstalten. So wuchs dieser Junge als Königssohn auf. Aber ihn zog es immer zu den einfachen Leuten.
Besonders gerne ging er zu einer armen Frau, die ihn liebte und mehr streichelte als seine Mutter, die Königin, die eine Hexe war. Er wußte nicht, daß das nicht einfach eine Frau, sondern seine eigene Mutter war. Sie wußte es aber gut und weinte vor Freude, wenn sie ihn liebevoll streichelte.
So wuchs der Königssohn auf und wurde hüb-scher als alle anderen Menschen. Da freiten seine Eltern für ihn um eine schöne Zarentochter, aber er wollte davon nichts hören, weil ihm ein sehr schönes Mädchen gefiel, das aber nur eine Kauf-mannstochter war. Wenn ein Kaufmann auch reich ist, so ist er doch nur ein einfacher Mann. Wo hat man schon gesehen, daß ein Königssohn sich ein einfaches Mädchen nimmt?
Soviel ihm der König und die Königin auch zuredeten, ein Zarensohn müsse eine Zarentochter heiraten, er sagte, daß er eher Hand an sich legen als auf sie hören würde. Da wurde die Königin, die eine Hexe war, böse und versuchte auszukund-schaften, warum der Königssohn nicht auf sie und den König hörte. Da fanden sich auch böse Menschen, die ihr erzählten, daß der Königssohn ein anderes, ein einfaches Mädchen liebe. Sie konnte nur nicht in Erfahrung bringen, welches.
Da verwandelte die Hexe das Gesicht des Königssohnes in das eines Schweines.
Als der König das sah, wurde er auf seinen Sohn wütend und brachte ihn auf eine Insel mitten im Meer. Der Königssohn hatte aber noch vorher von der Königin einen Spiegel und von dem König einen Stock mitgenommen. Das waren aber keine einfachen Sachen. Wenn er in den Spiegel schaute und an sein Mädchen dachte, dann sah er, wie sie lebte. Als er mit dem Stock auf die Erde klopfte, stand ein kühner Bursche vor ihm und fragte, was er wolle.
Der Königssohn befahl ihm, eine Hütte zu bau-en und ihm zu essen zu geben.
Augenblicklich erschien vor ihm eine Hütte, die zwar klein war, aber schön. Wie aus dem Boden gestampft stand ein Tisch da und auf ihm allerlei Speisen und Getränke, wie im Königspalast.
Der Königssohn ging am Meer entlang, sammelte Blumen und sang so traurig, daß die Vögel verstummten und auf sein Lied hörten. Da bekam der Königssohn Sehnsucht, nahm seinen Spiegel her-aus, schaute hinein, was sein Mädchen macht, und rang die Hände. Er erinnerte sich jener guten Frau, die ihn betreut hatte, schaute in den Spiegel und sah, daß sie weinte und die Tränen nur so liefen.
Er wollte gerne erfahren, warum sie weinte und wer sie gekränkt hatte.
Da rief er den kühnen Burschen und sagte zu ihm: „Bringe mir die und die Frau hierher!“
„Das geht nicht“, sagte jener, „hierher können nur die fahren, die es selbst wollen.“
Da wurde der Königssohn traurig und pflanzte sich Blumen, um nicht schwermütig zu werden vor Herzeleid.
Inzwischen machte sich der Vater jenes Mädchens, das der Königssohn liebte, auf den Weg in fremde Länder, um Waren von Übersee zu holen. Er fragte seine Töchter, was für Geschenke er ih-nen mitbringen sollte. Die älteste bat ihren Vater um das schönste Kleid. Die mittlere bat um eine Gusli, die selbst spielt. Die jüngste aber, die der Königssohn liebte, bat ihn, ihr eine Rose von Übersee mitzubringen. Sie glaubte, daß der Königssohn noch lebt und an sie denkt, solange die Rose nicht verwelkt.
Der Kaufmann setzte sich ins Schiff und fuhr übers Meer in fremde Länder. Ob er nun lange dort war oder nicht, er kaufte sehr viele teure Wa-ren und Geschenke für seine lieben Töchter und fuhr dann zurück. Da kam ein Sturm auf, der zer-störte sein Schiff, und es versank mit allem. Der Kaufmann hielt sich an einem Brett fest und schwamm damit weiter. Lange trug es ihn auf dem Meer hin und her, und lange versengte ihn die Sonne, bis es ihn schließlich ans Ufer brachte.
Mit letzter Kraft stellte er sich auf die Beine, aber er konnte nicht gehen. Da setzte er sich auf einen Stein und saß dort wie angewachsen. Er saß lange dort; schließlich merkte er, daß er großen Hunger hatte. Er erhob sich und ging am Ufer entlang, um Menschen zu suchen. Er ging ringsherum und er-kannte, daß er auf eine unbewohnte Insel ver-schlagen worden war. Das war aber gerade jene Insel, auf die man den Königssohn verbannt hat-te. Der Kaufmann ging Pilze und Beeren suchen, um sich wenigstens etwas zu stärken. Es wurde ihm schwer ums Herz, als er daran .dachte, daß alle seine Waren verloren waren, aber am meisten tat es ihm leid, daß jene Geschenke fortgekommen waren, die er für seine Töchter gekauft hat-te. Da erblickte er Rosen, die noch schöner waren als die von Übersee. Er vergaß sogar seinem Hun-ger und dachte: Ich will hier meinem Lieblingstöchterchen eine Rose pflücken. Den älteren kann ich vielleicht etwas in meinem Lande kaufen, wenn ich nach Hause komme.
Als er die Rose pflücken wollte, erschien auf einmal ein furchtbarer Mensch mit einem Schweinsgesicht. Da erschrak der Kaufmann und zitterte wie Espenlaub.
„Erschrick nicht, sage mir nur, wer du bist, wo-her du kommst und wofür du meine Rose haben willst!“ sagte der Mensch.
Der Kaufmann erzählte ihm alles, erzählte die volle Wahrheit und fügte noch hinzu, daß er die Rose für sein Lieblingstöchterchen pflücken wollte, um sie mit etwas zu erfreuen, denn sonst würde sie immer nur weinen und traurig sein.
Da erriet der Königssohn, daß das Mädchen seinetwegen weinte, und bat den Kaufmann in seine Hütte. Er hatte den Kaufmann sofort erkannt, aber dieser konnte ihn nicht erkennen, denn er hatte noch nie jemanden gesehen, der so furcht-bar und schrecklich anzuschauen war. Da gab der Königssohn dem Kaufmann zu essen und sagte: „Ich gebe dir Blumen soviel du willst und bringe dich nach Hause. Nur mußt du deine jüngste Tochter hierherschicken. Aber wenn sie nicht gern zu mir kommen will, als mein Gast, dann werdet ihr alle umkommen und ich auch.“
Der Kaufmann konnte nicht anders und erklärte sich einverstanden. Da rief der Königssohn den kühnen Burschen und befahl ihm, verschiedene Waren, die der Kaufmann wünschte, zu holen, den Mädchen als Geschenk die beste Kleidung herbeizuschaffen und auch eine Gusli, die von selbst spielt, und befahl ihm dann, den Kaufmann nach Hause zu bringen. Er hatte einen ganzen Armvoll Rosen gepflückt und zu einem Kranz ge-flochten, nun sagte er: „Diese Blumen hier gib deiner jüngsten Tochter von mir!“
Der Kaufmann nahm alles und fuhr nach Hause. Zu Hause freute man sich sehr über seine Heimkehr. Aber als er alles erzählt hatte, versuchten seine Frau und die älteren Mädchen die jüngste zu überreden, nicht zu fahren. Doch als sie sah, daß die Rosen so schön blühten, als wären sie gerade erst aus dem Garten gebracht worden, da wurde sie so froh, lachte und klatschte in die Hände. Sie dachte bei sich, daß es vielleicht ihr Schicksal ist, zuerst so traurig zu sein, um dann um so glückli-cher zu werden, wenn sie dem Königssohn wieder in die Augen schauen kann. Sie wußte, daß es ihr beschieden war, den Königssohn noch am Leben zu finden. Darum wollte sie auch gern zu jenem furchtbaren Menschen zu Besuch fahren. Vielleicht ist er gar nicht so ein Ungeheuer, dachte sie bei sich, man muß ihn erst einmal ansahen.
Die Zeit kam heran. So viel die Eltern und Geschwister sie auch überreden wollten, sie hörte auf niemanden. „Ich fahre doch“, sagte sie. „Ich will nicht, daß es durch mich uns allen schlecht geht, daß wir alle umkommen. Aber vielleicht ist es auch gut so, vielleicht ist mir das alles so bestimmt. Und um das, was einem bestimmt ist, kann man weder herumgehen noch herumfah-ren.“
Da konnten die Eltern nichts machen, sie mußten sich einverstanden erklären, so schwer es ihnen auch fiel, ihr Lieblingskind wer weiß wohin zu schicken und noch dazu zu einem solchen Unge-heuer, das keinem Menschen ähnlich sah. So schickten die Eltern ihre jüngste Tochter auf die Reise und weinten, als brächten sie sie auf den Friedhof.
Sie setzte sich auf das Schiff, das schon lange auf sie wartete und zu jener Insel fahren sollte.
Inzwischen hatte die richtige Mutter des Königssohnes erfahren, warum ihr geliebter Sohn nicht mehr zu ihr kam, daß der grausame König und die Königin, die eine Hexe war, ihren unan-sehnlichen Sohn versteckt oder vielleicht gar um-gebracht hatten. Natürlich sehnt sich ein Mutterherz immer nach seinem Kind. Sie weinte und weinte, war traurig, und als sie es gar nicht mehr aushalten konnte, ging sie in die weite Welt hinaus, um den Königssohn zu suchen. Ein Hündchen lief ihr nach, das den Königssohn immer so um-schmeichelt hatte, wenn er zur Mutter gekommen war. Es stimmt schon, daß so ein Hund weiß, wer sein Freund ist und wer sein Feind. Einen guten Menschen rühren Hunde nicht an, aber einen bö-sen sind sie bereit totzubeißen. So war es auch bei dem Hündchen. Immer, wenn der Königssohn kam, sprang es ihn an, leckte ihm die Hände, winselte und wedelte mit dem Schwanz vor Freude. Kam aber jemand anderes, dann kam der Hund wie eine Kugel herbeigeschossen, bellte, bis er heiser wurde, und war so aufdringlich, daß die Frau ihn mit den Worten „Geh fort!“ wegjagen mußte.
Jetzt zog sie also durch die Welt, und der Hund lief voraus und zeigte ihr den Weg. Sie wurde müde und legte sich hin, um auszuruhen, aber das Hündchen schlief nicht, sondern schnupperte und spitzte die Ohren, damit es gleich hörte, wenn irgendwo ein Feind versteckt war.
So ging sie, ging mit ihrem Hündchen durch die Welt und fragte die guten Menschen, ob sie nicht ihren lieben Sohn gesehen oder etwas von ihm gehört hätten. Die Beine wurden ihr schon müde, aber alle sagten, daß sie ihn nicht gesehen hätten und nicht wüßten, wo ihr Sohn sei. Sie ging durch das ganze Königreich, aber er war nirgends zu finden. Schließlich riet ihr eine alte Frau, sie sollte versuchen, in fremde Länder, in fremde Zarenreiche, zu fremden Menschen zu gehen. „Vielleicht ist er dort“, sagte sie.
Da dankte die Frau der guten Alten und wollte in die fremden Länder gehen. Als sie erfuhr, daß diese hinter tiefen, großen Meeren liegen und daß man dort nicht hingehen kann, sondern auf Schiffen fahren muß, da ging sie zum Meer und wollte auf ein Schiff, aber man ließ sie nicht hinauf.
„Wo willst du hin, Alte?“ fragte man sie. „Mit diesem Schiff fahren nur Fürsten und Grafen.“
Sie begann zu weinen und ging zu einem anderen Schiff. Dort fragte und flehte sie, warf sich auf die Knie und küßte die Hände.
Schließlich fanden sich gute Leute, die wollten sie auf das Schiff nehmen, aber das Hündchen nahmen sie nicht. „Was soll dieses ekelhafte Tier hier?“ sagten sie, „das wird uns noch das Schiff beschmutzen.“
Ihr tat es leid, sich von dem Hündchen zu tren-nen, von diesem treuen Diener, sie weinte und ging weiter.
Das Hündchen, als ob es wüßte, daß die Menschen von ihm gesprochen hatten, sprang ihr vor Freude an den Hals und leckte sie. So ging sie weiter mit ihrem Hündchen und kam schließlich zu jenem Schiff, auf dem die Tochter des Kaufmanns fahren sollte. Sie trat heran und bat, sie mitzu-nehmen.
„Komm, komm, liebe Frau“, antwortete man ihr, „wir sollen alle mitnehmen, die mitfahren wollen!“
Sie ging auf das Schiff, und das Hündchen sprang voraus. Das Schiff war so groß wie eine Kirche. Sie setzte sich in eine Ecke und blieb ganz ruhig sitzen. Das Hündchen legte sich ihr zu Fü-ßen und spitzte die Ohren.
Nach einiger Zeit kam auch die Kaufmannstochter auf das Schiff, aber sie sah die alte Frau nicht. Als das Schiff vielleicht eine Stunde oder mehr auf dem Meer gefahren war, machte es am Ufer halt. Ein Mann trat zu der Frau und sagte: „Steige aus, Alte, wir sind schon da!“ Sie nahm ihre Habe, stieg ans Ufer und ging, wohin die Augen schauten oder wohin das Hündchen sie führte.
Da stieg auch die Kaufmannstochter aus und ging zur Hütte des Königssohnes. Als der Königssohn sie erblickte, freute er sich so sehr, daß er kein Wort herausbringen konnte. Die Kaufmanns-tochter lebte dort im Überfluß. Es gab viel zu essen und zu trinken, alles was das Herz begehrte, allerlei herrliche und teure Kleider, so daß es für das ganze Leben reichte.
Sie brauchte nichts zu tun, sondern ging nur zwischen den Blumen spazieren und wand sich Kränze. Sie wand einen Kranz aus Rosen, setzte ihn auf den Kopf, schaute in den Spiegel und weinte.
„Was soll mir meine Schönheit“, sagte sie, „wenn sie niemand sehen kann, wenn hier niemand ist außer diesem Ungeheuer mit dem Schweinsgesicht.“
Was der Königssohn auch immer tat, welche Geschenke er ihr auch immer gab, nichts half, er konnte sie nicht wieder zurückgewinnen. Bekannt-lich war er ja ein Ungeheuer mit einem Schweinsgesicht und kein Mensch. Wenn man ihn anschau-te, so drehte sich einem das Herz im Leibe um. Da wurde der Königssohn traurig, trank nicht mehr und aß nicht mehr, hörte auf, sich um seine Blumen zu kümmern, und lief den ganzen Tag durch den Wald oder am Meeresufer entlang und weinte oder sang Lieder, aber solch traurige Lieder, daß der, der sie hörte, ein Gefühl hatte, als wenn jemand mit Krallen nach seinem Herzen griff, und ihm die Tränen aus den Augen flossen wie bei einem Biber.
Da ging die Kaufmannstochter einmal am Meer spazieren und hörte, daß jemand sang. Da lauschte sie. Sie hörte und weinte und bewegte sich nicht, blieb so stehen, bis die Sonne hinter dem Wasser untergegangen und es ganz dunkel ge-worden war. Schon lange hatte der letzte Vogel im Wald zu singen aufgehört, und sie stand noch immer wie versteinert.
Inzwischen war der Königssohn nach Hause zurückgekommen, hatte hierhin und dorthin ge-schaut, aber sein geliebtes Mädchen nicht gefun-den.
So lief er sie suchen. Er lief und lief, fand sie schließlich am Meeresufer und führte sie in die Hütte. Es war dunkel und kein Weg zu sehen. So vorsichtig das Mädchen auch lief, es fiel immerfort hin. Als der Königssohn sah, daß sie immerzu stolperte, nahm er sie auf die Arme und trug sie. Er trug sie leicht wie eine Feder und sprach so zärtlich zu ihr, daß das Mädchen sein Schweinsgesicht vergaß und es ihr schien, als ob jemand an-deres spräche: jener Königssohn von Übersee, an den sie einst in langen Nächten gedacht hatte, als sie in den weichen Betten bei ihrer Mutter gelegen hatte. Sie glaubte, ihr geliebter Königssohn habe sie wie durch ein Wunder gefunden und trage sie auf seinen starken Armen, flüstere ihr zärtliche Worte zu und drücke sie an seine Brust. Und ihr war so wohl zumute, so freudig klopfte ihr Herz, daß ihr schien, als ob er sie das ganze Leben hindurch auf den Armen getragen hätte und sie die lieben Worte, die liebe Stimme ihres Geliebten gehört habe.
Er brachte sie in die Hütte und bat sie, Abendbrot zu essen. Sie aber dankte, zündete nicht einmal Feuer an, sondern legte sich auf das Bett, um jenen süßen Geschmack nicht zu verjagen, um zu liegen, nachzudenken und die Stimme ihres lieben Königssohnes noch einmal zu hören.
Sie schlief die ganze Nacht nicht, sondern brannte wie im Feuer. Aber da machte Gott Tag, und die Gedanken flogen auseinander wie Rauch. Als ihr bewußt wurde, daß gar kein Königssohn da war, stach es sie wie mit Nadeln ins Herz, und die Tränen rannen nur so. Sie wollte nicht essen und nicht trinken, sondern vergrub ihren Kopf in das Kissen und weinte den ganzen Tag über.
Aber als der Abend kam, da ging sie wieder an das Meeresufer. Da hörte sie abermals dieses Sin-gen, und es war so schön, so fröhlich, daß ihr leicht ums Herz wurde. Sie hörte wieder zu, bis es dunkel wurde. Der Königssohn suchte sie wieder und trug sie auf seinen Armen nach Hause. Und wieder war ihr so froh zumute, so süß drehte sich ihr der Kopf, daß sie die ganze Nacht an ihren Liebsten dachte.
Am dritten Tag begegnete sie im Garten dem Ungeheuer mit dem Schweinsgesicht. Es pflückte ihr Blumen. Sie schaute es an und klagte. Es re-dete ihr zu, aber was half’s! Sie weinte noch mehr und raufte sich die Haare. Schließlich jagte sie es fort, es sollte sich nicht mehr sehen lassen. Sie selbst lief ans Ufer des Meeres, um jenem wun-derbaren Gesang zu lauschen. Aber niemand sang, nur der Wald rauschte, das Meer toste, und die Wellen schlugen an das Ufer.
Lange saß sie dort, und ihr wurde so schwer ums Herz, so übel bei dem Gedanken, daß ihr junges Leben nun vergeblich vergehen würde, daß keine Hoffnung besteht, ihren lieben Königssohn zu treffen. Da hielt sie es schließlich nicht mehr aus und warf sich ins Meer. Da stürzte sich von irgendwoher das Hündchen jener alten Frau ins Wasser und holte sie ans Ufer. Das sah die Frau, und sie zog das Mädchen aufs Land. Sie schüttelte das Mädchen hin und her, da erwachte es, und als es sah, daß die Frau, die es kannte, bei ihm war, da wurde ihm etwas leichter ums Herz.
Sie sprachen ein wenig miteinander und gingen dann zusammen zu der Hütte. Auf dem Wege erzählten sie einander alles, was geschehen war und wie sie hierhergekommen waren.
Als sie zu der Hütte kamen, war dort ein Unglück geschehen. Der Königssohn war traurig ge-worden, als ihn die Kaufmannstochter verjagt hat-te, war so traurig geworden wie noch nie. Er hatte immer gedacht, daß ihn das Mädchen wegen seines guten Herzens lieben würde, wegen seiner Zärtlichkeit und seiner zärtlichen Worte. Aber nun hatte er gesehen, daß keine Hoffnung bestand. Da holte er den Zauberspiegel hervor, um sein liebes Mädchen zu sehen. In dem Augenblick stürzte sie sich gerade ins Meer und ging unter, und da wurde ihm so schwer zumute, daß es ihn ins Herz stach. Er fiel bewußtlos auf die Erde und lag da wie tot. Die Diener, die herbeigelaufen kamen, wußten auch nicht, was sie machen sollten.
Gerade zu dieser Zeit kam die Kaufmannstochter mit jener Frau dorthin. Natürlich lief das Hündchen immer voraus. Auch dieses Mal lief es zum Königssohn, und als es ihn beschnüffelte, winselte, mit dem Schwanz wedelte und ihm die Hände und das Schweinsgesicht zu lecken begann, da erriet die Frau, daß das ihr Sohn war, nur daß er jetzt vielleicht verwünscht war.
„Oh, dieser Mensch ist verwünscht“, sagte sie.
Da tat er dem Mädchen leid, sie beugte sich zu ihm hinab, streichelte ihn und begann ihm zärtliche Worte zuzuflüstern.
Da erwachte der Königssohn und sah das Mädchen und jene gute Frau, die er so geliebt hatte, vor sich knien, und ihm wurde leicht ums Herz. Er erhob sich, dankte ihnen für die Zärtlichkeit und bewirtete sie. Das Hündchen aber ging nicht fort von ihm und umschmeichelte ihn immer. Sie saßen fast bis zum Abend am Tisch. Da machte sich die Frau ein Plätzchen zum Schlafen zurecht, und das Mädchen ging mit dem Ungeheuer spazieren.
Der Abend war schön. Es war warm und ruhig wie in einem Ohr. Die Sonne war schon lange untergegangen, nur die Wolken waren noch mehr rot geworden. Da begann das Ungeheuer mit dem Schweinsgesicht Lieder zu singen und sang so schön, daß die Stimme bis in die Seele drang und man zugleich weinen und lachen wollte. Und das Mädchen dachte sich, daß es so das ganze Leben lauschen wollte und nichts weiter. Es war schon ganz dunkel geworden. Am Himmel blinkten die hellen Sterne und zwinkerten mit ihren lieben Au-gen, als wollten sie flüstern: Schön ist die Welt, schön ist es, auf ihr zu leben und zu lieben. Liebe, dann wirst du alles überwinden. Er aber sang noch immer, sang mit solcher Liebe, daß sie in den Kopf und in das Herz des Mädchens drang. Sie wußte selbst nicht warum, als sie den fürch-terlich aussehenden Mann am Kopf nahm und küßte. In diesem Augenblick verwandelte er sich wieder in den schönen Königssohn, nahm sie auf die Arme und trug sie nach Hause, wo ihn schon seine Mutter erwartete. Da hatte die Freude kein Ende.
Nun lebten sie glücklich zusammen und vergaßen auch die armen Menschen nicht.

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