Die Königin und die Schustersfrau

In einem Dorfe lebte einmal ein Schuster, der war sehr bösartig und trank viel, obwohl er arm, sehr arm war. Woher sollte er auch sein Auskommen haben? Für Arbeit interessierte er sich nicht, sein Wort hielt er nicht, den halben Tag arbeitete er und den andern halben trank er, und alles, was er verdient hatte, war dahin. Wenn er kein Geld hat-te, ließ er die Arbeit liegen und vertrank das letzte Kleidungsstück. Wenn er dann betrunken nach Hause kam, schlug er seine Frau. Seine Frau aber war eine so gute junge Frau, wie man sie heutzutage kaum findet. Sie arbeitete stets und tat nur Gutes. Sie zog ihre Kinder groß, hielt das Haus sauber und half ihrem Mann. Sie litt aufrichtig Kummer, war flink und konnte alle Arbeiten verrichten.
Ihr Mann quälte sie sehr. Er schlug sie ohne Grund und nahm dazu, was ihm gerade in die Finger kam, den Riemen oder den Leisten. Sie aber, die kein Wässerchen trüben konnte, schwieg und widersprach nicht.
In diesem Reiche lebte als Königin eine bösartige Nichtstuerin. An allem hatte sie etwas auszusetzen, sie war nur ruhig, wenn sie schlief. Aber wenn sie aufwachte, keifte sie und jagte alle umher. Nicht nur ihre Höflinge, nein, das ganze Land quälte sie. Sie ließ Kriege führen und Leute um-bringen, ließ Berge nach Gold durchwühlen, jagte die Menschen von einem Ort zum anderen, verkaufte sie an andere oder verlangte hohe Steuern von ihnen. So stöhnte und klagte das ganze Volk.
Schließlich wurde es auch Gott zuviel. Daher schickte er einen Engel, um die Schustersfrau in die Gemächer der Königin zu bringen und die Königin in die Hütte des Schusters. Der Engel führte Gottes Befehl aus. Als die Schustersfrau aufwachte, sprang sie aus dem Bett und sagte: „Ach, ich habe verschlafen, ich muß ja das Essen zubereiten und die Hütte saubermachen, bevor mein Mann aufsteht.“ Sie schaute sich um und wurde beinahe ohnmächtig. „Wo bin ich denn“, sagte sie, „bin ich denn schon im Jenseits?“ Die Zimmer wa-ren so schön, so schön wie im Paradies. „Vielleicht schlafe ich noch? Nein, ich schlafe nicht.“ Sie fiel auf die Knie und bat Gott, ihre Gedanken wieder in die Wirklichkeit zurückzurufen. Die Diener aber liefen auf Zehenspitzen an der Tür hin und her und horchten, ob die Königin schon aufgewacht war. Sie sahen durch das Schlüsselloch und wunderten sich sehr, daß die Königin betete. Das hatte sie noch nie getan. Die Dienstmädchen kamen herein und fragten, welche Kleider die Königin haben möchte.
„Die ihr mir gebt, sind mir schon recht“, sagte die Schustersfrau und sagte es mit so sanfter Stimme, daß sich die Diener noch mehr verwun-derten. Der Tag verging, und niemand wurde ge-schlagen, niemand ins Gefängnis geworfen, und alles, was getan wurde, war in Ordnung. Da verbreitete sich das Gerücht im ganzen Reich, daß die Königin ihre Natur geändert habe, daß sie ru-hig, sanft, mitleidsvoll und barmherzig geworden sei. Alle Leute freuten sich, denn nun hatten sie es leichter.
Ganz anders erging es der Königin. Am Abend hatte sich der Schuster betrunken und war fest eingeschlafen, denn er wußte ja, daß seine Frau ihn rechtzeitig wecken würde. Als er aufwachte, sah er jedoch, daß es schon sehr spät war. Die Hütte war noch nicht aufgeräumt, das Essen noch nicht zubereitet, und seine Frau schlief noch. Da packte ihn die Wut, er griff nach dem Leisten und begann der Königin die Seiten zu massieren. „Steh auf, du Verfluchte! Verrecken sollst du! Warum hast du mich nicht geweckt? Warum hast du die Zeit verschlafen? Warum ist die Hütte nicht aufgeräumt?“ Und er schlug sie grün und blau.
Die Königin verstand gar nichts, sondern schrie nur immer wie am Spieß: „Zu Hilfe, rettet mich! Ich werde erschlagen!“
Der Schuster wurde aber nur noch wütender und schlug sie noch mehr. Er schlug sie so lange, bis sie wie ein bitterer Apfel wurde und in Ohnmacht fiel. Da erschrak der Schuster und begann sie mit Wasser zu übergießen. Sie kam ein wenig zu sich, lag da und stöhnte.
„Nun, nun, genug gestöhnt, das ist doch nicht das erste Mal! Steh auf und mach dich an die Arbeit!“
„Ich bin die Königin!“ sagte sie. Da geriet der Schuster wieder in Wut und antwortete: „Du bist eine Königin? Ich werde dir schon dein Königreich zeigen!“ und schlug sie von neuem. Da rief sie ihre Diener um Hilfe, er aber schlug sie immer mehr.
Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie mußte sich an die Arbeit machen, verstand aber nichts davon. So schlug sie der Schuster wegen jeder Kleinigkeit.
Alles ist schwer zu erlernen. Die Königin aber lernte, auch Männerarbeit zu verrichten, schickte sich in ihr Los und ward sanft wie ein Lamm.

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