Es waren einmal ein Drechsler und ein Goldschmied, die gingen zusammen ins Wirtshaus und tranken dort. Nachdem sie viel getrunken hatten, sagte der Drechsler: „Ich bin der größte Meister!“
Darauf sagte der Goldschmied: „Nein, ich bin besser als du!“
Und so gab ein Wort das andere, und schließlich begannen sie sich zu schlagen. Sie schlugen sich eine ganze Weile, und weil das in einer Hauptstadt geschah, sagten sie: „Laß uns zum König gehen, soll er entscheiden!“
Sie kamen zum König, und der König fragte: „Wer seid ihr?“
Da sagte der eine: „Ich bin Goldschmied.“
Und der andere sagte: „Ich bin Drechsler.“
„Und was wollt ihr?“
„Ja, die Sache ist so und so.“
„Na gut“, sagte der König, „in zwei Wochen werde ich entscheiden. Bis dahin arbeite du, Goldschmied, und auch du, Drechsler, ein gutes Stück, dann werde ich sehen, wer der größere Meister von euch ist.“
Sie gingen nach Hause. Der Goldschmied überlegte und machte einen goldenen Fisch. Wenn man den ins Wasser ließ, so schwamm er, als ob er lebendig wäre. Der Drechsler aber machte eine Taube mit einer Feder, wenn man die nach der einen Seite aufzog, so flog die Taube nach oben, und wenn man sie wieder zurückdrehte, so flog die Taube nach unten. So brachten sie nun ihre Werkstücke zum König. Der König befahl, Wasser in eine Vase zu gießen und den Fisch hineinzulas-sen. Dieser schwamm wie lebendig! Der Drechsler aber zog die Feder auf, und die Taube flog nach oben. Das waren gute Sachen!
„Geht nun in den Gerichtssaal, ihr Meister“, sagte der König, „dort werden wir entscheiden!“
Sie gingen dorthin. Der König zog sich um, der Königssohn aber, ein elfjähriger Bursche, ergriff die Taube, ging auf den Hof, nahm sie zwischen die Beine und zog schnell die Feder auf. Als er sie aufgezogen hatte, stieg die Taube mit ihm in die Lüfte und trug ihn weit davon, noch weiter, als das Auge blicken konnte. Sofort begannen alle zu schreien, der König lief aus dem Gerichtssaal herbei, alles lief auf den Hof, aber der Königssohn war nicht mehr da!
Da schickte der König seine Diener durch die ganze Welt, sie sollten wenigstens die Knochen von dem Jungen finden. Sie suchten und suchten, aber sie fanden nichts. Inzwischen aber flog der Königssohn und flog, und erst als er schon bis an die Sonne herangekommen war und der dritte Tag anbrach, dachte er daran, die Feder zurückzudrehen. Er begann sie zurückzudrehen, die Taube senkte sich, und dann ließ er sich bei irgendeinem Hause herunter und blieb dort stehen. Es war noch früh, und der arme Junge stand da, war hungrig und weinte. Da kam ein Kaufmann, der bemerkte den Jungen und begann ihn auszufra-gen. Er kannte aber seine Sprache nicht, da sprach er ihn in einer anderen Sprache an, und schließlich fand er die richtige. Er fragte ihn: „Wo-her bist du?“
Der Königssohn aber antwortete: „Das weiß ich nicht.“
Der Kaufmann nahm ihn zu sich, gab ihm zu essen und zu trinken und erzog ihn. Er merkte, daß es ein wissensdurstiger Junge war, und er lehrte ihn ein wenig lesen und schreiben, dann nahm er ihn in seinen Laden mit, wo er verschie-dene Sachen zu verkaufen hatte. Dort waren Gei-gen und verschiedene andere Instrumente, und der Kaufmann lehrte ihn, so schön auf einer Geige zu spielen, daß die ganze Stadt zusammenkam, um in diesem Laden zu kaufen und ihm zuzuhören.
In dieser Stadt lebte ein König. Der veranstaltete einen Ball und wollte, daß ein guter Musikant käme. Da erzählte man ihm, daß ein Kaufmann einen passenden Musikanten habe. Der König schickte den Kutscher dorthin. Der holte den Jungen. In der Nähe des Königspalastes stand ein sechsstöckiger Turm. Da fragte der Junge den Kutscher: „Was ist das? Wer wohnt dort?“
Der Kutscher sagte: „Dort auf der sechsten Etage wohnt eine Königstochter.“
„Und warum wohnt sie dort?“
„Lieber Herr, als sie geboren wurde, sagte die Amme, daß sie einmal eine ganz Durchtriebene werden würde. Der König, der Angst hatte, daß sie Dummheiten machen könnte, hat deshalb be-fohlen, diesen Turm zu erbauen, und die Königstochter lebt jetzt schon mehr als zwölf Jahre darin. Eine alte Frau bringt ihr zu essen und lehrt sie das Notwendigste, aber ringsherum stehen Wachtposten, damit die Alte niemanden hineinlas-sen kann.“
Darauf sagte der Junge nichts, sondern merkte sich nur alles genau. Er kam in den Palast, spielte dort die ganze Nacht, und am Morgen brachte man ihn wieder zum Kaufmann. Dauernd ging ihm diese Königstochter durch den Kopf und der Ge-danke, wie er zu ihr hinkommen könnte. Plötzlich fiel es ihm ein. Am Abend nahm er die Taube, trat aus dem Laden, zog die Feder auf, setzte sich darauf und flog los. Er flog um den Turm herum und schaute sich alles an. Die Fenster in der Mitte waren offen. So setzte er sich auf die Mauer und sah hinein. Da kam aus dem anderen Zimmer ein hübsches Fräulein heraus, hübsch wie eine Blume im Sommer. Als sie eintrat, warf er einen Hand-schuh durch das Fenster und flog wieder davon.
Am anderen Abend kam er wieder dorthin geflogen und sah, daß das Fenster nicht verschlos-sen war. So öffnete er es ganz langsam und stieg ein. Auf dem Tisch sah er eine Flasche Wein und schönes Gebäck stehen. Er trank und aß und dachte bei sich: Ich möchte schon dort hineingehen, aber ich habe Angst, daß sie zu schreien beginnt. Da öffnete sich die Tür, und die Königstochter kam herein. Als sie ihn erblickte, erschrak sie so, daß sie aufschrie, denn sie hatte noch niemals einen Mann gesehen. Da sagte er zu ihr: „Ruhig, ruhig, ich bin genau solch ein Mensch wie du, hab keine Angst!“
Sie fürchtete sich aber und wollte nicht zu ihm kommen. Er erzählte ihr, daß er ein Königssohn sei und aus welchem Königreich er stamme, er erzählte ihr alles. Dann aber sagte er: „Sag aber nicht der Alten, daß ich hierhergekommen bin, dann ergreift man mich und bringt mich ums Le-ben.“
Nun kam sie näher zu ihm heran, sie setzten sich hin, dann gingen sie ein wenig hin und her, und sie wunderte sich dauernd, warum er ein Mann und sie ein Mädchen war. Da erzählte er ihr alles und brachte ihr auch bei, warum das so ist, und ohne lange zu zögern, gingen sie schlafen. Sie lagen ein wenig, und ihr gefiel das so gut, daß sie ihn bat, immer bei ihr zu bleiben. Er erklärte ihr, daß das nicht möglich sei, denn wenn es der König erfahre, würde er sie beide hinrichten las-sen. Er sagte aber: „Ich werde immer zu dir kommen, nur in der Nacht. Denk aber daran und sage es niemandem, damit niemand davon er-fährt!“
So verabschiedeten sie sich voneinander, er setzte sich auf die Taube und flog nach Hause. Am Morgen sagte sie der Alten, sie solle ihr mehr Wein und mehr Essen bringen. Und er kam jede Nacht zu ihr geflogen. Sie liebten einander sehr und küßten sich. Jedoch dann merkte die Alte, daß die Königstochter schwanger war, und sagte es dem König. Da sagte der König zu der Alten: „Da hast du Hexe wohl jemanden hineingelassen! Ich werde dich aufhängen lassen!“
Und er befahl, die Alte ins Gefängnis zu werfen und einen Arzt zu der Tochter zu schicken, damit er feststelle, ob das stimme.
Als der Arzt die Königstochter untersucht hatte, sagte er: „Es stimmt, lieber König. Eure Tochter erwartet ein Kind.“
Da versammelte der König seinen Rat und sprach: „Meine Herren, wie konnte das geschehen? Ein Vogel tut das nicht, und ein Mann kann doch dort nicht hinein.“
Die Senatoren sagten: „Wir müssen auf alle Fenster Teer gießen, lieber König, dann werden wir sehen, wessen Spuren dort zurückbleiben.“
„Gut!“
Das taten sie. Der Königssohn kam in der Nacht angeflogen, sah sich nicht vor und ließ Spuren auf dem Fensterbrett. So erfuhren sie, daß dies ein Mensch war. Am Morgen sagte der König, daß die ganze Stadt zusammengerufen werden solle, da-mit man sehen könne, an wessen Händen und Fü-ßen Teer sei. Die Königstochter führte man aus dem Turm heraus und sagte: „Wenn du ihn auch nicht kennst, du Schelmin, wir hängen dich doch mit ihm zusammen auf!“
Da sagte sie: „Wenn wir schon sterben müssen, dann zusammen. Er ist hier!“
Sie ging hin, faßte ihn an der Hand und führte ihn zum König. Dann beschloß man sofort, sie beide aufzuhängen. Da sagte der Königssohn:
„Gut, mag es auch so sein. Gestattet ihr aber noch, von Vater und Mutter Abschied zu nehmen, und mir, von der ganzen Welt und von ihr.“
Der König erlaubte es. Da ging er zu ihr hin und umarmte sie, um sie zu küssen. Dabei aber zog er die Feder auf, und sie flogen in die Höhe. Da schrien alle: „Haltet sie! Greift sie!“
Er aber rief: „Leck mich am Hintern, bester Kö-nig!“
Und so flogen sie davon.
Als sie so dahinflogen, sagte die Königstochter: „Mein Bester, ich werde ein Kind zur Welt bringen.“
Da machte er schnell ein Feuer an, setzte sich auf die Taube und flog in die Stadt.
Er kam dorthin und erkundigte sich, wo eine Hebamme wohnt. Als sie herauskam, packte er sie, setzte sie auf die Taube und flog mit ihr da-von. Da wurde die Alte bald ohnmächtig, denn sie dachte, daß der Teufel sie ergriffen hätte. Als sie ankamen, gebar die Königstochter schon das Kind. Sie blieben dort drei Tage lang. Dann flog er die Alte wieder zurück, nahm die Königstochter und das Kind und brachte sie zu seinem Vater.
Als er sich im Garten des Königs hinunterließ, hörte er in der Stadt Trommeln. Die Menschen kamen haufenweise, und er fragte: „Was ist dort los?“
„Dort bringt man einen Drechsler zum Galgen, lieber Herr, weil er eine Taube gemacht hat, die den Königssohn fortgetragen hat.“
Da sagte er: „Habt Erbarmen! Laßt den König schnell erfahren, daß er diesen Drechsler nicht aufhängen soll, denn der Königssohn ist hier!“
Sie sagten es, und der König verbot sofort die Hinrichtung. Der Königssohn kam zum Vater, und als dieser ihn erblickte, da küßte und umarmte er ihn. Der Königssohn aber sagte: „Ich bin nicht allein hier, im Garten ist meine Verlobte.“
Der König ließ schnell nach ihr schicken, und man holte sie in den Palast. Der Sohn wurde nach der ganzen Sache ausgefragt, und der König schickte beide sogleich in die Kirche und ließ sie trauen.
Man feierte eine laute Hochzeit, alle Könige waren dort und alle Fürsten, auch die Gutsherren, und man hatte auch den zur Feier eingeladen, der dieses Märchen erzählt hat. Man bewirtete uns mit Met und mit Wein, der lief mir über den Bart, aber auf die Lippen kam nichts.
Die hölzerne Taube
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