Die drei Vermummten (Ein Weihnachtsmärchen)

Es war einmal ein Gutsherr unterwegs. Er wollte bei einem armen Bauern übernachten. Der Bauer sagte: „Ich lasse Euch nur in meine Hütte, wenn Ihr Märchen erzählt. Ihr seid doch belesen und kennt sicher viele. „Ich weiß, ich weiß“, sagte der Gutsherr, „ich kann sie aus Büchern vorlesen und kenne sie auch auswendig.“ Da ließ der arme Bauer den Herrn in seine Hütte. Der Herr zog sich aus und setzte sich auf die Ofenbank. Da sagte der arme Bauer: „Es ist schon Abend, lieber Herr, erzählt uns etwas, bevor wir schlafen gehen.“ So begann der Gutsherr zu erzählen:
„Es flog eine Eule von Insel zu Insel… Es flog eine Eule von Insel zu Insel… Es flog eine Eule von Insel zu Insel…“
Die Bauern lauschten und lauschten und schlie-fen ein. Da legte sich auch der Gutsherr hin und schlief ein.
Alle schliefen schon, nur der Kutscher noch nicht. Da hörte er, daß sich etwas bewegte. Er lauschte, da kam die erste Vermummte ans Fen-ster und sagte: „Ich habe von den Leuten gehört, daß hier ein Gutsherr Märchen erzählt. Aber hier werden ja gar keine Märchen erzählt. Ich gehe und verwandle mich in eine Quelle am Wege.
Wenn der Gutsherr vorbeikommt und aus mir trinkt, wird er umkommen. Aber wer das hört und es dem Gutsherrn erzählt, der versinkt bis zu den Knien in die Erde.“ Dann ging sie fort.
Sie war gerade gegangen, als die zweite Vermummte kam. Sie stellte sich unter das Fenster und sagte: „Ich habe von den Leuten gehört, daß hier ein Gutsherr Märchen erzählt. Aber hier wer-den ja gar keine Märchen erzählt. Ich gehe und verwandle mich in einen Apfelbaum am Wege mit goldenen und silbernen Blättern, mit goldenen und silbernen Äpfeln. Wenn der Gutsherr davon ißt, wird er umkommen. Wer das aber hört und es dem Gutsherrn erzählt, der wird bis zum Gürtel in die Erde versinken.“
Dann trat die dritte Vermummte an das Fenster und sagte: „Ich habe von den Leuten gehört, daß hier ein Gutsherr Märchen erzählt, aber hier werden ja gar keine Märchen erzählt. Ich gehe und verwandle mich in ein Bett am Wege. Wenn der Gutsherr vorbeikommt und schlafen will und sich auf mich legt, wird er nicht mehr aufstehen. Aber wer das hört und es dem Gutsherrn erzählt, der wird bis zum Hals in die Erde versinken.“ Dann ging sie fort. Der Kutscher aber hatte alles ganz genau gehört.
Am frühen Morgen fuhr der Gutsherr weiter. Sie fuhren und fuhren und kamen zu einer klaren Quelle, an der eine goldene Kelle lag. Da sagte der Gutsherr zum Kutscher: „Halte die Pferde an, ich will etwas trinken! Ich komme vor Durst fast um.“ Er wollte gerade von der Kutsche steigen, da
schlug der Kutscher so auf die Pferde ein, daß sie davonliefen. Der Gutsherr schrie den Kutscher an: „Warte doch, warte doch!“ Der Kutscher aber trieb die Pferde nur noch mehr an. Da ärgerte sich der Gutsherr sehr. Er schlug dem Kutscher auf die Schulter. Der Herr schlug den Kutscher und der Kutscher die Pferde. Nur mit Mühe kamen sie von der Quelle weg.
Bald kamen sie zu einem Apfelbaum mit goldenen und silbernen Blättern, mit goldenen und silbernen Äpfeln. Da schrie der Gutsherr wieder den Kutscher an: „Halte die Pferde an. Ich pflücke mir einen Apfel ab! Ich komme vor Hunger fast um.“ Er wollte gerade absteigen, als der Kutscher auf die Pferde losschlug und die Pferde zu laufen be-gannen. Da ärgerte sich der Gutsherr noch mehr. Er begann den Kutscher zu schlagen und sagte: „Ich bringe dich ins Gefängnis!“ Der Kutscher aber trieb die Pferde nur noch mehr an. Der Gutsherr schlug den Kutscher und der Kutscher die Pferde. Mit Mühe und Not kamen sie vom Apfelbaum weg.
Sie fuhren weiter und kamen zu einem Bett. Da sagte der Gutsherr wieder: „Bleib hier stehen, ich möchte mich etwas ausruhen! Ich bin todmüde.“ Er wollte gerade aus der Kutsche steigen, da schlug der Kutscher auf die Pferde los, daß sie nur so dahinrasten. Da ärgerte sich der Gutsherr noch mehr, und er begann den Kutscher zu schlagen und zu schinden: „Bleib stehen, du Hundesohn! Wenn wir nach Hause kommen, lasse ich dich nach Sibirien schicken!“ Der Kutscher aber trieb die Pferde nur noch mehr an. Der Gutsherr schlug den Kutscher und der Kutscher die Pferde, und so kamen sie von dem Bett fort.
Als sie auf den Hof kamen, spannte der Kutscher die Pferde aus und ging zu dem Gutsherrn. „Also hör zu, mein lieber Gutsherr! Ich habe dir heute nicht gehorcht, und du willst mich nach Si-birien schicken. Vorher aber versammle noch die Leute aus allen Dörfern auf dem Hof, damit ich fünf Worte sagen kann. Dann kannst du mich nach Sibirien schicken!“ Der Gutsherr holte alle Leute auf den Hof zusammen. Der Kutscher bat den Gutsherrn um ein Pferd. Er setzte sich auf das Pferd und begann zu dem Volk zu sprechen, das auf dem Hofe war:
„Also hört zu, Brüder!“ sagte er. „Als wir, der Gutsherr und ich, bei einem Bauern übernachteten, waren alle eingeschlafen, nur ich allein schlief noch nicht. Da hörte ich, wie eine Vermummte am Fenster erschien und sagte: ‚Ich habe von den Leuten gehört, daß hier Märchen erzählt werden. Aber hier werden ja gar keine Märchen erzählt. Ich werde gehen und mich in eine Quelle am Wege verwandeln. Wenn der Herr vorbeikommt und aus mir trinkt, wird er umkommen. Aber wer das hört und es dem Gutsherrn berichtet, der versinkt bis zu den Knien in die Erde.’ Und dann ging sie davon…“ Schwupp, da versank das Pferd bis zu den Knien in die Erde.
„Siehst du also, Gutsherr, warum ich die Pferde nicht bei der Quelle halten lassen wollte? Bald hörte ich die zweite Vermummte kommen. Sie sagte: ‚Ich habe von den Leuten gehört, daß hier ein Gutsherr Märchen erzählt, aber hier werden ja gar keine Märchen erzählt. Ich gehe und verwand-le mich in einen Apfelbaum am Wege mit goldenen und silbernen Blättern und mit goldenen und silbernen Äpfeln. Wenn der Gutsherr vorbeigefahren kommt und einen Apfel ißt, wird er umkommen. Und wer das hört und dem Herrn berichtet, der wird bis zum Gürtel in die Erde versinken.’ Und sie ging davon.“ Schwupp, da versank das Pferd bis zum Gürtel in die Erde.
„Deshalb also habe ich die Pferde am Apfelbaum nicht anhalten lassen, lieber Gutsherr. Aber höre weiter zu: Die zweite Vermummte war gera-de fortgegangen, als die dritte an das Fenster trat und sagte: ‚Ich habe gehört, daß hier ein Gutsherr Märchen erzählt. Aber hier werden ja gar keine Märchen erzählt. Ich gehe und verwandle mich in ein weiches Bett am Wege. Wenn der Gutsherr auf mir schlafen will und sich auf mich legt, wird er nicht mehr aufstehen. Wer das hört und es dem Gutsherrn erzählt, der versinkt bis zum Hals in die Erde.’ Dann ging sie fort.“
Schwupp, da versank das Pferd, auf dem der Kutscher saß, bis zum Halse in die Erde.
„Deshalb also habe ich die Pferde nicht am Bett angehalten.“
Er sprang vom Pferd, wollte es aus der Erde herausziehen, konnte aber nichts machen.
Da liefen die Leute herzu und begannen es auszugraben. Sie gruben und gruben, ohne es herauszubekommen, denn es verschwand in der Erde. Da übergab der Gutsherr dem Kutscher die Hälfte seines Gutes und veranstaltete einen Ball für alle Leute.
Auch ich war dort auf dem Ball und habe Ho-nigwein getrunken.
Ein langes Messer gab man mir,
und ich lief auf dem Hof umher.
Dann gab man eine Pfanne mir,
und ich lief in der Stadt umher.
Dann gab man mir ‘nen Fiedelbogen,
bin auf dem Hof herumgezogen.
Alsdann bekam ich eine Stute,
aus Harz war sie, oh, diese Gute!
Ein Kohlkopf sollt’ der Sattel sein,
aus Pastinak die Zügel fein.
Auf dieser Stute ritt ich fort,
kam zu der Schenke in dem Ort,
Heuschrecken gleich die Burschen kamen,
mich mit Gewalt vom Sattel nahmen.
Den Sattel fraßen gebratene Schweine,
den Zügel – Ziegen, ganz gemeine.
Auf einmal aber helle ward’s,
und es zerschmolz die Stut’ aus Harz.

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