Der Löwe und das Pferd

Ein Mann hatte ein ganz altes Pferd, und einmal, als er vom Eggen kam, spannte er das Pferd aus, jagte es in den Sumpf und schrie: „Geh zum Teufel! Verrecke!“
Da sagte das Pferd: „Lieber Herr, habe ich mir nicht ein stählernes Hufeisen verdient? Warum verjagst du mich denn?“
Als der Mann das hörte, nahm er Stahl, führte das Pferd zur Schmiede, ließ es vom Schmied mit stählernen Hufeisen beschlagen und jagte das Pferd dann in den Sumpf. Da das Pferd hungrig war, fraß es Gras. Als es gerade so fraß, kam ein Löwe vorbei. Als dieser sah, daß das Pferd ihn nicht grüßte, ging er zu ihm und sagte: „Na, du alter kranker Gaul! Ich bin doch der Löwe, warum grüßt du mich nicht?“
Da sagte das Pferd: „Seid nicht wütend, bester König, ich habe von Kindheit an für meinen Herrn gearbeitet und gearbeitet, und jetzt, wo ich alt bin, hat er mich verjagt. Ich aber war hungrig, habe Gras gefressen und nicht gesehen, daß Ihr vorbeigekommen seid.“
Da sagte der Löwe: „Ach du alter kranker Gaul, sieh mal, was ich kann!“ Bei diesen Worten ergriff er einen Stein, drückte ihn mit seinen Pranken zusammen, und da floß Wasser heraus.
„Es ist keine Kunst, Wasser aus einem Stein herauszudrücken, denn bekanntlich fallen Regen und Schnee auf den Stein. Aber Feuer aus dem Stein zu holen, das ist schon eine Kunst“, sagte das Pferd.
Da schämte sich der Löwe und sagte: „Wenn du Feuer aus dem Stein holst, dann schenke ich dir das Leben.“
Da begann das Pferd mit dem Hufeisen gegen den Stein zu schlagen, daß die Funken stoben. Der Löwe sagte: „Wenn ich Wasser aus dem Stein drücken konnte, dann werde ich auch Feuer herausholen können.“
„Na, das wollen wir erst mal stehen“, sagte das Pferd.
Der Löwe begann mit seinen Pranken an den Stein zu schlagen. Er schlug und schlug, bis er sich die Krallen abgebrochen und die Pranken wund gestoßen hatte, aber es kam und kam kein Feuer. Da hörte er auf zu schlagen und sagte: „Ich dachte, daß niemand auf der Welt stärker sei als ich. Aber du bist stärker als ich. Jetzt sollst du König sein!“
Er schämte sich und ging davon. Er ging und ging, da sah er einen Wolf sitzen. Als ihn dieser erblickte, heulte er zur Begrüßung. Der Löwe ging zu ihm und sagte: „Du brauchst mich nicht zu grüßen. Grüß den alten Gaul, der durch das Moor geht und Gras frißt, denn er hat mir den Königstitel genommen!“
„Wer konnte dir denn den Königstitel nehmen?“ fragte der Wolf.
„Wer? Das Pferd!“
Der Wolf lachte und sagte: „Ich habe in meinem Leben schon mehr als tausend solchen Köni-gen den Garaus gemacht. Zeigt ihn mir, bester König, ich will ihn gleich zur Strecke bringen!“
Da sagte der Löwe: „Ach, du Dummkopf, du wirst schon bei seinem Anblick umkommen, so schrecklich ist er.“
Der Löwe machte ein, zwei Sprünge, und als er sich umblickte und sah, daß der Wolf weit hinter ihm zurückgeblieben war, kam er wieder zurück und sagte: „Du kommst doch nicht so schnell mit. Ich werde dich hintragen.“
Er packte ihn mit der Pranke am Hals und trug ihn fort. Er trug ihn auf einen Berg, von dem aus man das Pferd sehen konnte. Als er stehenblieb und den Wolf anblickte, sah er dessen Kopf hin und her baumeln, denn er hatte ihn erwürgt beim Tragen.
„Ich habe dir ja gleich gesagt, du Dummkopf, wenn du ihn erblickst, wirst du vor Angst um-kommen!“ sagte der Löwe.
Damit warf er den Wolf gegen einen Stein und lief davon. Er lief und lief, trat auf einen Igel und stach sich in die Pranke.
Da sagte er: „Ich bin schon durch die ganze Welt gekommen, und nirgends habe ich mich in die Pranke gestochen. Aber in diesem verfluchten Lande habe ich immerzu Unglück!“
Dann sah er sich genauer an, woran er sich gestochen hatte, und sah einen Igel liegen. „Komm Kleiner, wir wollen um die Wette rennen! Wenn ich dich überhole, bringe ich dich um, aber wenn wir zusammen ankommen, will ich dich leben lassen.“
Sie maßen aus, bis wohin sie laufen wollten, und liefen dann gemeinsam los. Der Igel hielt sich am Schwanz des Löwen fest. Der Löwe begann zu laufen. Er tat ein, zwei Sprünge, kam zu der festgelegten Stelle und sah sich um, wo der Igel ge-blieben war. Da sagte der Igel hinter ihm: „Schau nur nach hinten, allerbester König, ich warte hier schon lange auf dich!“
Da verfluchte der Löwe dieses Land und ging nach Frankreich. Jetzt gibt es in Frankreich Löwen, und hier gibt es keine mehr.

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