Es lebte einmal ein Herr auf einem reichen Gut. Zu dem kam ein Bauer mit einem Anliegen. Er kam ans Haus, vom Hause aus aber stürzte sich der Lieblingshund des Herrn auf ihn. Der Bauer erschrak tüchtig. Und der Bauer hatte einen Knüppel in der Hand. Als sich der Hund auf den Bauern warf, versetzte der Bauer dem Hund mit voller Wucht einen Schlag und hatte den Hund gleich erschlagen. Der Herr erfuhr davon, und der Bauer gab’s zu und bat um Vergebung, dem Herrn aber war es um den Hund sehr leid. Der Hund hatte sein Gut aufs beste bewacht, und der Herr konnte ihm nicht vergeben und verklagte den Bauern vor Gericht.
Dann wurden sie vor Gericht gerufen. Weil der Herr bei den Richtern in hohem Ansehen stand, wollten sie den Bauern so richten, wie der Herr es wünschte. Das schlugen sie dem Herrn vor.
Die Richter sagen:
„Was wollt Ihr mit ihm tun, Herr?“
Der Herr sagt:
„Ich denke mir folgendes: Weil es ein sehr guter Hund gewesen ist und er mir sehr teuer war, mein ganzes Gut bewacht und mich behütet hat, so möchte ich, daß er bei mir den Hund macht, genauso auf dem Hofe lebt und nichts mehr mit
Menschenstimme sagen darf, sondern wie ein Hund bellt, mein Gut bewacht und mich behütet. Und ich will ihn schön warm anziehen und ihn gut füttern lassen; wie ich meinen Lieblingshund habe gut füttern lassen, will ich auch ihn gut füttern lassen. Er darf aber nachts nicht schlafen, muß alle Nächte bellen und mein Gut bewachen!“
Die Richter waren’s einverstanden, und der Bauer konnte nichts dagegen tun, und so war er, der Bauer, auch einverstanden.
So lebte nun der Bauer bei dem Herrn auf dem Hofe und bellte wie ein Hund.
Der Bauer bellte schön, nachts schlief er nicht, rannte auf dem ganzen Hof herum, und beim Herrn unter dem Fenster bellte er oft besonders laut. Der Herr war mit dem Hund zufrieden, und der Herr befahl:
„Füttert den Hund gut!“
So hatte der Bauer ein halbes Jahr und mehr gebellt, war mit Dieben bekannt geworden und sagte zu den Dieben:
„Kommt in der und der Nacht und stehlt wertvollen Besitz meines Herrn, ich werde euch hier aufmachen; und habt keine Angst, wenn ich auch laut bellen werde; nehmt’s nur recht schnell und macht euch dann schleunigst davon, und später gebt ihr mir meinen Teil!“
So machten’s die Diebe auch. Der Hund aber bellte in dieser Nacht lauter, rannte auf dem ganzen Hof herum, der Herr konnte nicht einmal einschlafen, so laut bellte er. Der Herr dachte:
„Schön bellt der Hund. Ich muß Anweisung geben, ihn noch besser zu füttern.“
Und als am Morgen die Diener aufstanden, sahen sie – die Vorratskammer war aufgebrochen, und Gut war gestohlen worden; sie meldeten’s dem Herrn, und der Herr war sehr wütend auf den Hund, weil er sein Gut nicht bewacht hatte, und er konnte ihm nicht vergeben und verklagte den Hund vor Gericht.
Nun riefen die Richter den Herrn und den Hund vor Gericht.
Der Herr sagt:
„Der Hund hier hat Diebe auf meinen Hof gelassen!“
Die Richter aber fragen:
„Wie ist das, Herr, hat er in der Nacht gebellt?“
Der Herr sagt:
„Er hat laut gebellt, ich habe nicht einmal einschlafen können; ich wollte schon Anweisung geben, ihn noch besser zu füttern.“
Da sagen die Richter:
„Seht Ihr, Herr, gerade in der Nacht hat der Hund laut gebellt. Und Ihr, Herr, hättet irgendeinen Diener auf den Hof schicken müssen, der nachsieht, warum der Hund so laut bellt. Sprechen ist ihm doch verboten.“
Die Richter sagen:
„Wir sind der Meinung, der Hund ist unschuldig!“
Der Herr aber war sehr wütend auf den Bauern. Und nach dem damaligen Recht konnte ein Herr einen Bauern ins Gefängnis stecken.
Der Herr denkt:
„Ich will ihn selber hinbringen und vor meinen Augen ins Gefängnis stecken lassen.“
Der Herr fuhr also mit diesem Bauern los, bis zum Gefängnis waren es aber an die fünfzig Werst zu fahren. Und sie mußten spät abends durch einen dunklen Wald fahren. Der Herr lenkte sogar selber. Der Bauer sah auf einmal – vor ihnen hatte der Wind eine Tanne mit großen Wurzeln ausgerissen. Die Wurzeln ragten nach oben. Kaum hatte der Bauer diesen ausgerissenen Baum gesehen, da kam ihm augenblicklich ein guter Gedanke. Er entriß dem Herrn plötzlich die Zügel und schrie:
„Brrr, brrr, brrr!“
Der Herr war tüchtig erschrocken:
„Was ist denn los?“
Der Bauer aber sagt mit ängstlicher Stimme:
„Väterchen Herr, Väterchen Herr, sieh nur, sieh nur, dort steht ein Bär auf den Hinterbeinen.“
Jetzt sah’s auch der Herr. Der Herr erschrak tüchtig.
Der Herr sagt und drängt:
„Los, dreh um, los, dreh um!“
Der Bauer aber sagt:
„Herr, Herr, das geht nicht: wenn der Bär sieht, daß wir Angst vor ihm haben, holt er uns gleich ein und bricht uns alle Knochen!“
Der Herr sagt:
„Was sollen wir denn tun? Was sollen wir denn tun?“
Der Bauer sagt:
„Herr, er hat große Angst vor Hundegebell.“
Da schrie der Herr:
„Dann belle doch, du Schafskopf!“
Der Bauer sagt:
„Ich kann nicht mehr bellen; ich habe auch keine Stimme.“
Und der Bauer macht dem Herrn Angst:
„Herr, Herr, der Bär kommt immer näher!“
Der Herr sieht – es hilft nichts, und er fing selber wie ein Hund zu bellen an. Der Bauer sagt:
„Herr, du mußt lauter bellen!“
Der Herr bellte noch lauter.
Der Bauer sagt:
„Der Bär hat Angst, er geht zurück.“
Der Herr war ganz matt vom Bellen und sagt:
„Jetzt belle du, du Hundsfott!“
Und der Bauer fing an zu bellen:
„Ham, ham!“
Er bringt kein Bellen zustande, und der Bauer sagt:
„Herr, Herr, der Bär kommt immer näher!“
So bellte der Herr die ganze Nacht hindurch. Und der Herr verlor seine ganze Stimme – er kann nicht mehr bellen.
Es begann, hell zu werden. Der Bauer sagt:
„Herr, das ist gar kein Bär.“
„Was denn?“
„Je nun, der Wind hat eine Tanne ausgerissen. Das sind die Wurzeln, die nach oben spießen. Ich hab’s ja gewußt, daß es kein Bär ist.“
Der Herr sagt:
„Ach, du Hundsfott! Ich werde dich noch länger im Gefängnis schmoren lassen!“
Der Bauer sagt:
„Mach was du willst Herr! Du, Herr, bist ein Hund, denn du hast die ganze Nacht wie ein Hund gebellt.“
Der Herr wurde noch wütender. Der Bauer sagt:
„Ich hätte ja noch besser als du bellen können. Ich wollte nur nicht. Und ich wollte, daß du die ganze Nacht bellst.“
Der Bauer sagt:
Jetzt werde ich allen erzählen, daß mein Herr die ganze Nacht wie ein Hund gebellt hat! Daß ich es war, der ihn hat bellen lassen!“
Der Herr wurde noch wütender auf den Bauern. Der Herr wollte seinen Diener nicht so davonkommen lassen. Wie der Herr aber dem Bauern auch drohte, der Bauer sagt nur:
„Mach was du willst, Herr, ich erzähle’s sowieso!“
Der Herr sieht, daß seine Sache schlecht steht, und sagt zum Bauern:
Was willst du haben, damit du’s nicht erzählst?“
Und der Bauer sagt:
„Vergib mir und stecke mich nicht ins Gefängnis, und schenke mir noch eine schöne Kuh und zwei Sack Weizen und laß mich zu Hause wohnen. Und ich werde dir dankbar sein, Herr, und dich loben; und werde allen sagen: „Nein, der Herr hat nicht wie ein Hund gebellt!“
Der Herr und der Hund
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