Der blaue Brunnen

Vor langer, langer Zeit lebten einmal bei Propoisk
zwei Recken, Stepan und Marko, und die Reckenfrau
Katharina. Beide Recken hatten sich in sie
verliebt. Ihr aber gefiel nicht Marko, der stärkere,
sondern der schwächere von beiden. Als es nun
soweit war, daß sie sich für einen von beiden entscheiden
mußte, denn sie warben schon lange um
sie, wußte sie nicht, was sie tun sollte. Heirate ich
Stepan, dachte sie bei sich, erschlägt ihn Marko,
heirate ich aber Marko, so tut mir Stepan leid. Sie
überlegte und überlegte, und endlich fiel ihr etwas
ein.
„Hört zu“, sagte sie, „ich gebe jedem von euch
einen Stein. Wer ihn am weitesten wirft, den heirate
ich.“
Ihrem Liebling gab sie einen kleineren Stein, so
groß wie ein Tisch, und dem anderen, den sie
nicht liebte, gab sie einen Stein, so groß wie ein
Bauernofen. So warfen sie nun ihre Steine von
Propoisk aus über den Sosh. Sie nahmen einen
gewaltigen Anlauf und warfen ihre Steine über
neun Werst weit. Dann schaute sie nach, wer am
weitesten geworfen hatte. Die Reckenfrau sah den
Stein ihres Geliebten liegen und stellte sich darauf,
noch heute kann man ihre Fußspuren sehen.
Als sie aber Markos Stein, an dem auch noch die Fingerabdrücke des Recken zu sehen sind, fünfzig
Sashen weiter liegen sah, sagte sie: „Ehe ich den
nehme, den ich nicht liebe, gehe ich lieber ins
Wasser!“
Als sie vom Stein herabsprang, trat das Wasser
über die Ufer, und überall, wo es versickerte, entstanden
tiefe Löcher. Ungefähr fünf Werst hinter
Propoisk, in der Nähe des Sosh, tritt es wieder
hervor. Dort sprudelt es mannshoch aus der Erde
und ist ganz blau. Daher heißt es auch „Blauer
Brunnen“.

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