Der Bauer und der Gutsherr

Es war einmal ein Gutsherr, der war so garstig und böse, daß es ein Elend mit ihm war und niemand ihm etwas rechtmachen konnte. Alle fürchteten ihn wie den Teufel. Wenn einmal jemand zu ihm kam und um etwas bat, dann schrie er ihn gleich an: „Was willst du?“
Dann sagte der andere: „Schon gut, lieber Herr!“ und zitterte wie Espenlaub.
„Wenn es gut ist, was willst du dann?“ schrie der Gutsherr. „In den Pferdestall mit diesem Schlingel!“
So ließ er niemanden zu Worte kommen. Anders konnte er gar nicht mit den Leuten reden. Die Leute hatten immer Angst, ihm etwas zu sa-gen, was ihm nicht paßte. Denn wenn ihm jemand etwas nicht so sagen konnte, wie er es hören wollte und wie es seiner Laune entsprach, ließ er ihn ausprügeln. Nur einen Bauern gab es, der mit dem Gutsherrn reden konnte. Er hieß Stopak.
Einmal hatte der Gutsherr Karten gespielt und ein sehr schönes Gut gewonnen. Es war im Frühjahr, um den Tag des heiligen Nikolaus1 etwa, und so blieb er den ganzen Sommer lang auf dem Gut, das ihm sehr gefiel. Man sagt ja immer, daß ein neues Teesieb an der Wand hängt und ein altes unter der Bank liegt. Da der Gutsherr nicht zurückkam und auf dem alten Hof ein Unglück nach dem anderen geschah, überlegte der Verwalter, wie er ihn benachrichtigen sollte. Er überlegte und überlegte und beschloß schließlich, einen Boten zum Gutsherrn zu schicken. Er wußte nur nicht, wen er schicken sollte, wer dem Gutsherrn einen geeigneten Bericht erstatten konnte.
Wen er auch schicken wollte, keiner gehorchte, alle hatten Angst, für die Wahrheit verprügelt zu werden. Er versprach demjenigen, der zum Gutsherrn gehen würde, ein großes Geschenk. Er versammelte das ganze Dorf, aber keiner wollte ge-hen. Da wußte der Verwalter nicht, was er tun sollte. Er saß da und rang die Hände.
Als Stopak davon erfuhr, ging er zum Verwalter und sagte: „Ich gehe zum Gutsherrn und sage ihm alles. Ich verstehe mit ihm zu reden.“
Da freute sich der Verwalter und hätte Stopak beinahe geküßt. Er gab ihm eine ganze Handvoll Geld und die Stiefel, die er trug. Dann schickte er ihn zu dem Gutsherrn auf das neue Gut.
Stopak war eine ganze Weile unterwegs, ehe er zu dem neuen Gutshof kam. Dort kam ihm ein Diener entgegen. „Was treibst du dich hier herum, du Vagabund!“ schrie er Stopak an und hetzte die Hunde auf ihn.
Stopak holte ein Stück Speck aus der Tasche und warf es den Hunden hin. Da gaben sie die Verfolgung auf. Dann trat Stopak auf die Treppe.
„Was willst du?“ fragte der Diener wieder.
„Ich möchte zum Gutsherrn“, sagte Stopak, „ich bin aus dem alten Gehöft, lieber Herr!“
„Gut“, sagte der Lakai, „ich werde dem Gutsherrn von dir berichten. Aber sag mir, woher du weißt, daß ich auch ein Herr bin!“
„Woher soll ich das schon wissen? Das sehe ich doch. Du bist ein Herr oder nicht, vielleicht auch nur so ein halbes Herrchen. Du hast eine flache Nase und eine glatte Stirn, daran erkennt man, daß du dem Herrn die Teller ausleckst.“
Der Diener wollte Stopak die Haare ausreißen, aber der Gutsherr rief ihn zu sich.
„Was ist das für ein Bauer?“ fragte der Gutsherr.
„Er kommt von der Herrin auf dem Gutshof.“
„Dann ruf ihn herein!“
Der Diener eilte, Stopak zum Herrn zu rufen. Inzwischen hatte Stopak seinen Tabaksbeutel hervorgeholt, Tabak in die Pfeife gestopft, Zunder, Stein und Feuerstahl aus der Tasche genommen und sich die Pfeife angezündet. Er rauchte und spuckte auf den sauberen Fußboden.
„Geh, der Gutsherr ruft dich!“ sagte der Diener.
„Nicht so hastig, er kann warten!“ sagte Stopak und rauchte seine Pfeife weiter.
„Geh schnell!“
„Sofort, sofort, ich will nur meine Pfeife zu Ende rauchen!“
Der Gutsherr wartete und wartete auf Stopak und wurde schließlich ungeduldig. Er schickte den Diener noch einmal zu Stopak. Stopak aber hatte es sich gemütlich gemacht. Er beeilte sich wie ein feuchter Lappen beim Verbrennen. Er rauchte sei-ne Pfeife zu Ende, schlug die Asche heraus und steckte die Pfeife in die Tasche. Erst dann ging er langsam zum Gutsherrn. Der Diener lief wie ein Hund vorweg und öffnete die Türen. Stopak trat zu dem Herrn ins Zimmer und hustete. Stopak hustete, der Gutsherr wartete und zwirbelte sei-nen Bart.
„Guten Tag, lieber Herr!“
„Was gibt es?“ fragte der Gutsherr.
„Alles ist in Ordnung, lieber Herr.“
„Wenn alles in Ordnung ist, was ist dann?“
„Ja, lieber Herr, der Verwalter hat mich geschickt. Euer Messer ist entzweigegangen.“
„Was für ein Messer?“
„Na, Euer Taschenmesser.“
„Wobei ist es denn entzweigegangen?“
„Ja, lieber Herr, ohne Geräte kann man nicht einmal eine Laus töten. Aber jedes Gerät geht einmal bei der Arbeit entzwei, und so war es auch mit Euerm Messer. Man wollte dem Hund das Fell abziehen, um Euch Stiefel daraus herzustellen. Aber Euer Hund hatte eine sehr starke Haut, und das Messer ist entzweigegangen.“
„Von welchem Hund redest du da, du Taugenichts!“
„Na, von Euerm Hund, erinnert Ihr Euch nicht mehr? Er ist in den Brunnen gesprungen, da hat man Nikita hinterhergeschickt, ihn herauszuholen, und beide sind ertrunken. Wißt Ihr, das war doch der Wachtelhund, den Ihr so gerne zur Jagd mit-nahmt. Ach, Gott helfe mir, ich glaube, es war der, für den Ihr dem Gutsherrn aus dem Nachbar-dorf drei Bauern gegeben habt.“
„Was? Mein Hund ist tot?“
„Ja, Herr.“
„Woran ist er denn gestorben?“
„Er soll so gesund gewesen sein, lieber Herr, aber als er das Pferdefleisch gegessen hatte, hat er gleich alle viere von sich gestreckt.“
„Was für Pferdefleisch?“
„Na das Fleisch von dem Hengst.“
„Von welchem Hengst?“
„Von Euerm falben Hengst, der eine Glatze hatte.“
„Was denn, ist der auch tot?“
„Ja, er ist tot, Herr. Es ist schade um ihn, er war ein guter Hengst.“
„Oh, ich Unglücklicher!“
„Ach, Herr, warum regt Ihr Euch so auf? Es ist doch bekannt, daß ein Hengst, der mit einer Glatze geboren wird, entweder umkommt oder von den Wölfen gefressen wird.“
„Woran ist denn der Hengst gestorben?“
„Er hat sich vielleicht übernommen.“
„Was hat man denn mit ihm gemacht? Ist man vielleicht schnell geritten, oder was ist gesche-hen?“
„Nein, lieber Herr, niemand ist auf ihm geritten, er hat immer im Pferdestall gestanden.“
„Aber was war denn sonst?“
„Er hat Wasser getragen, lieber Herr.“
„Wozu wurde denn das Wasser gebraucht?“
„Ja, lieber Herr, die Leute sagen immer, wenn man ertrinkt, greift man nach einem Strohhalm. Als auf dem Hof der Schweinestall abbrannte, befahl der Verwalter, mit dem Hengst Wasser zu holen.“
„Was denn, der Schweinestall ist abgebrannt?“
„Ja, er ist abgebrannt, lieber Herr.“
„Wie ist denn das passiert?“
„Seht ihr, Herr, er stand doch ganz nahe beim Viehhof, da ist er eben mit abgebrannt.“
„Was denn, ist auch der Viehhof abgebrannt?“
„Ja, lieber Herr, er hat gebrannt wie eine Kerze.“
„Wie konnte denn das geschehen?“
„Das weiß ich nicht genau, lieber Herr, er hat entweder von der Scheune oder von den Zimmern her Feuer gefangen.“
„Jesus Maria, sind denn auch die Zimmer abgebrannt?“
„Ja, sie sind abgebrannt, bis auf den Erdboden, als hätte jemand mit der Zunge darüber geleckt.“
„Und der ganze Hof ist abgebrannt?“
„Ja, lieber Herr, alles ist so glatt und sauber, daß man Rüben säen könnte.“
Da griff sich der Gutsherr an den Kopf und verfluchte die ganze Welt. „Wodurch ist denn das Haus abgebrannt?“ fragte er Stopak.
„Durch die Kerzen, lieber Herr“, sagte Stopak.
„Wozu haben die Kerzen gebrannt?“
„Ja, warum denn nicht, lieber Herr, es ist doch bekannt, daß immer Kerzen brennen, wenn jemand stirbt.“
„Was? Wer ist denn gestorben?“
„Friede ihrer Asche, möge ihr der Weg ins Jenseits leicht geworden sein! Die Gutsherrin ist gestorben.“
„Was, was? Was redest du da? Die Gutsherrin ist gestorben? Oh, ich Unglücklicher!“
Da weinte der Gutsherr und wollte sich schier umbringen.
„Warum weint Ihr denn, Gott hat Euch doch auch etwas gegeben.“
„Was denn? Sag es schnell!“
„Gott hat Euch einen Enkel gegeben. Eure Tochter hat einen Sohn geboren. Es ist ein hübscher Junge, ein richtiger Gutsherrensohn, sieht genauso aus wie Euer Fuhrmann Nikita.“
Als der Gutsherr das hörte, fiel er vom Stuhl, und Stopak ging in die Bäckerei Abendbrot essen.
So ein Kerl war Stopak, und so konnte er mit dem Gutsherrn reden.

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