Daumengroß

In einem Zarenreich, in einem Staat lebten einmal ein alter Mann und eine alte Frau. Sie waren arm und hatten nur ein elendes Pferdchen. Der Alte fuhr pflügen. Die Alte packte ihm Brot und Salz in einen Beutel, etwas Hirse in ein Säckchen und ei-nen Krug mit Wasser. Der Alte fuhr los. Der Alte kam aufs Feld, spannte das Pferd vor den Pflug und begann zu pflügen. Pflügte und pflügte und war ganz ermattet. Er ließ das Pferd in einer Fur-che stehen, setzte sich hin, brach sich ein Stück Brot ab, salzte es und ißt. Nun, und nahm einen Schluck aus dem Krug.
Er aß und aß, und wie er einmal niest und die Äugen wieder aufgemacht hat, steht ein kleiner Junge vor ihm, so groß wie ein Finger, in einem goldenen Mützchen, und sagt:
„Väterchen, ruh ein wenig aus, ich will pflügen gehen!“
„Wie denn, du kleines Kerlchen?“
„Sehr einfach, ich krieche dem Pferd ins Ohr und werde pflügen.“
„Nun, geh!“
Er ging los, aber da war ein Wasser.
„Väterchen, ich komme hier nicht drüber.“
Nun, er trug ihn über die Pfütze.
Er kam zum Pferd, kletterte ins Ohr und pflügt. Da kommt auf einmal ein vornehmer Herr in einer Troika gefahren. Der sieht: der Alte sitzt, und das Pferd pflügt allein. Er befahl dem Kutscher, zu dem Alten hinzulenken. Sie hielten an, und der Herr fragt:
„Dein Pferd?“
„Meins!“
„Wie pflügt es denn allein?“
„Mein Sohn ist dort.“
„Wo?“
„Im rechten Ohr des Pferdes sitzt er.“
Der Herr ging nachsehen, und im Ohr des Pfer-des sitzt der Kleine im goldenen Mützchen. Dem Herren gefiel das goldene Mützchen, und er sagt:
„Junge, gib mir das goldene Mützchen zum Hei-raten!“
„Ich geb’ dir’s und du gibst’s nicht zurück!“
„Doch, ich geb’s zurück!“
„Nein, du gibst’s nicht zurück!“
„Doch, ich geb’s zurück; in zwei Tagen bring’ ich’s wieder!“
Der Junge gab das Mützchen hin, der Herr nahm’s, stieg ein und fuhr davon.
Der Junge hat den Acker zu Ende gepflügt, kommt nach Hause und sagt:
„Nun, Mütterchen, Väterchen, bleibt ihr zu Hau-se, ich aber will zu dem Herrn nach dem goldenen Mützchen gehen. Ich sehe, er ist ein Spitzbube und gibt’s im guten nicht zurück.“ Und er ging los. Ging und ging durch den Wald, da steht auf einmal ein Fuchs:
„Daumengroß, gehst du weit?“
„Zum Herrn nach dem goldenen Mützchen.“
„Nimm mich mit!“
„Du kommst ja doch nicht bis hin.“
„Doch, ich komme bis hin!“
„Nun, komm mit!“
Sie gingen und gingen; der Fuchs sagt:
„Daumengroß, ich bin ganz matt.“
„Kriech in meinen Sack.“
Er geht weiter, da steht auf dem Wege ein Wolf.
„Daumengroß, gehst du weit?“
„Ich – zum Herrn nach dem goldenen Mütz-chen.“
„Nimm mich mit!“
„Du kommst ja doch nicht bis hin.“
„Ich komme bis hin!“
„Nun, komm mit!“
Sie gingen und gingen, da sagt der Wolf:
„Junge, ich bin ganz matt!“
„Kriech in meinen Sack!“
Er geht weiter durch den tiefen Wald und trägt seinen Sack auf den Schultern. Da steht auf dem Wege ein Bär.
„Daumengroß, gehst du weit?“
„Zum Herrn nach dem goldenen Mützchen, Mi-chail Iwanowitsch.“
Der Bär brummte:
„Nimm mich mit!“
„Du kommst ja doch nicht bis hin.“
„Doch, ich komme bis hin!“
„Nun, komm mit!“
Sie gingen und gingen; der Bär sagt:
„Junge, ich bin fast ganz matt!“
„Nun, kriech in meinen Sack!“
Sie gingen weiter. Da ist auch schon der Kauf-mannshof. Ein hohes Haus.
Der Junge kletterte aufs Tor und schreit:
„Herr, Herr, gib das goldene Mützchen zurück, sonst schaffe ich Leid, daß es deiner Herrin leid tun wird!“
Der Herr befahl den Dienern:
„Werft ihn den Gänsen vor, sollen sie ihn zu Tode zwicken!“
Sie taten’s, aber er ließ den Fuchs aus dem Sack. Der Fuchs lief, erwürgte eine nach der an-deren, alle Gänse, und jagte davon in den Wald.
Er kommt aus dem Hof, klettert aufs Tor und schreit:
„Herr, Herr, gib das goldene Mützchen zurück, sonst schaffe ich Leid, daß es euch beiden leid tun wird!“
Der Herr befiehlt den Dienern:
„Packt den Jungen und werft ihn unter die Pfer-de!“
Sie taten’s. Aber er ließ aus seinem Sack den Wolf heraus, der biß einem nach dem anderen die Gurgel durch und rannte davon in den Wald.
Er kam aus dem Hof, kletterte aufs Tor und schreit:
„Herr, Herr, gib das goldene Mützchen zurück, sonst schaffe ich Leid, daß es dir und der Herrin leid tun wird!“
Der Herr befiehlt:
„Werft ihn auf den Viehhof!“
Sie warfen ihn auf den Viehhof, unter die Och-sen, aber er ließ aus seinem Sack den Bären her-aus, der Bär erschlug alle mit seiner Tatze und rannte davon in den Wald.
Der Junge kam aus dem Hof, kletterte aufs Tor und schreit:
„Herr, Herr, gib das goldene Mützchen zurück, sonst schaffe ich Leid, daß es dir und der Herrin leid tun wird!“
Der Herr befiehlt:
„Werft ihn in den Brunnen!“
Sie warfen den Jungen in den Brunnen, da sagt er:
„Sack, Sack, nimm das Wasser! Sack, Sack, nimm das Wasser!“
Der Sack nahm das ganze Wasser.
Der Junge kletterte aufs Tor und schreit:
„Herr, Herr, gib das goldene Mützchen zurück, sonst schaffe ich Leid, daß es allen Herren leid tun wird!“
„Werft ihn in den Ofen, er wird im Feuer verbrennen!“
Sie stießen ihn in den Ofen, aber der Junge konnte noch sagen:
„Sack, Sack, gieß das Wasser auf die Ziegel! Sack, Sack, gieß das Wasser auf die Ziegel!“
Das Wasser floß heraus, und das Feuer erlosch auf der Stelle.
Der Junge kam heraus, kletterte aufs Tor und schreit:
„Herr, Herr, gib das goldene Mützchen zurück, sonst schaffe ich Leid, daß es allen Adligen und großen und kleinen Herren leid tun wird!“
„Steckt ihn in einen Kasten und schüttet ihn mit Geld zu. daß er dort erstickt, der Nichtsnutz!“
Der Junge aber sagt:
„Sack, Sack, nimm das Geld! Sack, Sack, nimm das Geld!“
Der Sack steckte alles ein. Der Junge kam her-aus, machte sich auf den Heimweg und brachte den Sack voll Gold mit.
„Nun, Großvater, Großmutter, macht einen Dreschplatz zurecht, breitet Sackleinwand aus, wir wollen den Sack dreschen.“
Sie machten einen Dreschplatz zurecht. Der Al-te schlägt einmal mit dem Dreschflegel zu, da roll-te das Geld wie die Erbsen klirrend in alle Rich-tungen.
Der Herr aber sagt:
„Werft den Jungen heraus, sonst fängt er noch an zu riechen!“
Sie öffneten den Kasten, aber dort war weder Junge noch Geld.
Er jagte hinterher. Kam zu dem Dreschplatz ge-sprengt, und das Geld machte ding, ding, ding.
Der Herr stürzte hinzu, aber der Alte, ob nun aus Versehen oder mit Absicht, versetzte dem Herrn mit dem Dreschflegel eins vor den Kopf, daß er gleich tot umfiel.
So lebten der Alte und die Alte bis an ihr Ende. Die Enkel aber leben gewiß noch heute.
Jetzt, ohne Herrn, sind bessere Tage, jetzt darf keiner ‘nen Jungen schlagen.

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