Das Wunder des Steinberges

Ich will euch ein Märchen von einem armen Mann erzählen, der drei Söhne hatte: Petro, Dmytro und den dummen Fedko. Die Söhne waren schon groß geworden, der arme Mann aber, der hatte einen so kleinen Acker, daß ein Hase mit einem Satz hätte darüber hinwegspringen, können. In der Hütte herrschte bittere Not, und die war durch nichts zu lindern. Da konnte man sitzen und heulen oder stehen und brüllen.
Da ging der arme Mann zu einem Reichen und sprach: „Leihe mir doch deine Ochsen, das Fuhrwerk und den Pflug. Meine Söhne und ich wollen dir’s vergelten, wenn du in Not bist.“
„Dafür sollst du drei Tage lang meinen Acker jäten.“
„Abgemacht.“
Der arme Mann kam mit dem Fuhrwerk vor seinem Tor an und rief den ältesten Sohn herbei:
„Hinter dem Dorf ist der große Steinberg. Fahr hin, pflüge ihn und säe Weizen.“ Petro fuhr zum Steinberg, holte den Pflug von der Fuhre herunter und fing an zu pflügen. Doch kaum hatte er die erste Furche gezogen, da streckte sich eine schwarze, zottige Hand aus dem Steinberg heraus, die den Ochsen einen solch gewaltigen Hieb versetzte, daß sie samt dem
Pflug kopfüber in den Abgrund stürzten.
Petro kehrte traurig nach Hause zurück und erzählte dem Vater, was ihm zugestoßen war.
Der arme Mann tobte:
„Raus aus meinem Haus! Komm mir zeit meines Lebens nicht mehr unter die Augen.“
Petro warf seine Joppe über die Schulter und ging von dannen.
Der arme Mann begab sich zu einem anderen Reichen und lieh sich bei ihm Ochsen, Fuhrwerk und Pflug aus.
Darauf ließ er seinen mittleren Sohn Dmytro zu sich kommen und sprach:
„Du bist ein gescheiter Junge. Fahr zum Steinberg
hinaus, pflüge und säe Weizen.“
Der mittlere Sohn stieg aufs Fuhrwerk und war bald am Steinberg angelangt. Die gestern von Petro gezogene Furche war spurlos verschwunden. Dmytro krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit. Er zog die erste Furche rings um den Berg und schickte sich an, die zweite Furche zu ziehen. Kaum befand er sich neben dem Abgrund, da streckte sich wieder die schwarze, zottige Hand aus dem Steinberg heraus und schlug die Ochsen so wuchtig zwischen die Hörner, daß sie polternd in die Tiefe stürzten.
Dmytro war entsetzt. Was soll er seinem Vater sagen?
Er wird ihn totschlagen!
Er warf sein Bündel über die Schulter und lief Petro hinterher.
Der arme Mann wartete auf Dmytros Rückkehr. Er war froh, daß der Steinberg nun doch gepflügt und besät wurde.
Der Tag ging zur Neige, der Sohn aber, der kam nicht heim. Die Frau des armen Mannes weinte, doch er tröstete sie:
„Weine nicht, liebe Frau, Dmytro will den ganzen Berg glattpflügen, darum ist er noch nicht zurück.“
Am andern Tag streckte der dumme Fedko seinen langen Hals hinterm Ofen hervor und sprach:
„Vater, Dmytro hat den Steinberg gar nicht gepflügt.
Die Ochsen liegen in der Schlucht, und der Pflug ist entzwei, Dmytro aber ist Petro hinterhergelaufen“.
„Woher weißt du das, du Tölpel?“
„Nirgendwoher. Ich weiß alles…“
Der arme Mann ging zum Steinberg hinaus. In der Tiefe des Abgrunds sah er vier Ochsen und zwei zerbrochene Pflüge. Heimgekehrt, ließ er sich auf der Bank nieder und trauerte seinen beiden Söhnen nach. Die ganze Nacht über grämte er sich, da er nun bei den Reichen allein die Ochsen und die Fuhren abarbeiten mußte.
„Macht Euch keine Sorgen, Vater“, sprach Fedko, der am Ofen hockte. „Morgen will ich pflügen gehen, wenn Ihr mir ein Paar Ochsen gebt. Ich werde Weizen säen, meine Brüder finden und die Ochsen heimführen.“
Der arme Mann lieh sich noch ein Paar Ochsen und einen Pflug. Fedko setzte sich auf das Fuhrwerk und zog singend zum Steinberg hinaus. Als er in den Abgrund hinunterblickte, wurde er bleich wie Wachs: dort lagen die toten Ochsen und die zerschellten Pflüge. Nachdem er sich vom Schreck erholt hatte, machte er sich ans Pflügen. Er zog eine Furche und wollte schon mit der zweiten beginnen. Doch da streckte sich plötzlich eine schwarze, zottige Hand aus dem Berg heraus, die Anstalten machte, den Ochsen einen Schlag zwischen die Hörner zu versetzen. Fedko ließ die Zügel fallen und griff nach der Hand. Er umklammerte sie so fest wie eine Zange, und keine Kraft auf der Welt hätte sie ihm entreißen können. Nun fing er an, die Hand aus dem Berg herauszuziehen. Er zog und zog und ächzte dabei vor Anstrengung. Mit Mühe und Not zog er endlich einen Teufel heraus. Er faßte ihn am Schopf, schmetterte ihn auf den Boden und drückte ihn mit dem Knie nieder.
„Du Ausgeburt der Hölle, sag, warum bringst du soviel Unheil über rechtschaffene Leute? Nun ist es um dich geschehen!“
„Laß mich am Leben, Fedko“, flehte der Teufel.
„Mich juckt es schon längst in den Fingern…“
Fedko nahm ein kleines Messer aus der Tasche, schnitt dem Teufel den linken Ohrzipfel ab und steckte ihn hinter
den Gürtel.
„Und nun, Satansbrut, will ich dich vor diesen Pflug spannen, und du sollst den Steinberg pflügen, damit dort
goldener Weizen gedeiht.“
„Ich pflüge nicht gern, Junge. Ich mache lieber etwas anderes…“
Aber Fedko hörte nicht auf ihn. Er nahm das Joch von den Ochsen herunter und spannte den Teufel ein. Hernach zog er dem Teufel eins mit der Peitsche über, daß jener aufheulte.
„Hü, hott, du Satansbrut!“
Der Teufel zog mühsam, daß ihm die Augen hervorquollen, den Pflug hinter sich her. Fedko aber hielt die Zügel und sang vor sich hin. Ob sie nur kurz oder lange gepflügt haben, weiß jetzt keiner mehr, jedenfalls wurde der Steinberg alsbald ganz eben und weich wie Gänsedaunen.
Der Schweiß strömte dem Teufel über den Leib.
„Fedko, hol geschwind die Saatkörner, indes will ich mich ausruhen“, sprach der Teufel zu dem Jungen. „Aber rasch, denn ich habe noch andere Arbeit zu erledigen.“
Fedko kam keuchend zu Hause an, pflanzte sich vor dem Tor auf und rief:
„Vater, bringt das Saatgut, aber schnell, denn der Teufel hat keine Zeit!“
Der Vater schleppte einen Sack voll Korn heran. Mehr wollte er nicht herausrücken, denn er fürchtete, Fedko würde es zugrunde richten.
Bald hatte der Teufel den Weizen in die Saatrillen ausgestreut und mit dem Schwanz den Acker geeggt.
Dann schnitt er eine Fratze und sprach zu dem Jungen:
„Gib mir meinen linken Ohrzipfel zurück.“
„Einen Rippenstoß willst du wohl nicht? Mach, daß Petro und Dmytro sofort wieder hier sind, sonst wirst du dein blaues Wunder erleben!“
„Nein, nur das nicht, Fedko! Ich mache alles so, wie du es befiehlst.“
Im selben Augenblick kam ein furchtbarer Sturm auf.
Ein eisiger Wind tobte. Der Teufel setzte sich rittlings auf den Wind und jagte davon. Es dauerte gar nicht lange, da
kam er mit Petro und Dmytro zurück.
„Hier hast du deine Brüder“, sprach er, „und nun gib mir meinen Ohrzipfel!“
„Ach, du törichter Narr, warum hast du die Pflüge kaputt gemacht? Mach, daß sie nagelneu wieder hier stehen.
Und die Ochsen auch!“
Der Teufel schlug einen Purzelbaum und verschwand im Abgrund. Ein Weilchen später war er mit lebendigen
Ochsen und funkelnagelneuen Fuhrwerken wieder da.
„Jetzt gib mir meinen linken Ohrzipfel zurück“, ächzte der Teufel.
Fedko holte das Stückchen Fell hinter dem Gürtel hervor, versetzte dem Teufel einen Fußtritt und rief:
„Verschwinde! Daß du nur noch in Schluchten und auf dem Moorland umherirrst, denn sonst kriegst du es mit mir zu tun!“
Der Teufel schnappte nach seinem Ohrzipfel und gab Fersengeld.
Die Brüder stiegen auf das Fuhrwerk und kehrten heim. Der arme Mann war sehr froh, als er sie wiedersah.
Petro und Dmytro setzten sich an den Tisch und erzählten ihre Abenteuer, Fedko jedoch streckte sich auf der Ofenbank aus und spielte mit der Katze.
Am nächsten Tag ging der arme Mann zum Steinberg hinaus, um nachzuschauen, ob die Arbeit auch gut gelungen war. Er blieb wie angewurzelt stehen und traute seinen Augen nicht: der Weizen war schon reif! Die Halme waren von Silber und die Ähren von Gold.
Er lief nach Hause und rief:
„He, meine Söhne, holt die Sensen und rasch zum Steinberg! Bei uns ist schon Erntezeit!“
Petro und Dmytro machten sich an die Arbeit, Fedko aber war nicht hinter dem Ofen hervorzulocken.
Ich weiß nicht, was weiter war, denn im Märchen wird davon nichts erzählt.

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